39 Jahre Leben nach AN OP....Rückblick in Demut

Antworten
ssu
Beiträge: 1
Registriert: 14.11.2018, 20:48
Land: A
Geschlecht: w
Geburtsjahr: 1958
Wohnort: Wien

39 Jahre Leben nach AN OP....Rückblick in Demut

Beitrag von ssu » 16.11.2018, 15:18

Hallo liebe Forumsmitglieder,

ich möchte mich gerne zunächst einmal vorstellen: Ich bin mittlerweile 60 Jahre alt,
weiblich, verheiratet, habe 2 erwachsene Söhne, lebe in Wien und seit 39 Jahren mit den Folgen meiner AN OP 1979 im AKH Wien. Zum Zeitpunkt meiner OP war ich 21 Jahre jung und zugegebenermaßen relativ blauäugig, besonders, was Krankheiten betrifft. Heute sehe ich diese Blauäugigkeit als etwas durchaus Positives, ich wäre andernfalls wahrscheinlich SO nicht aus der ganzen Geschichte herausgekommen.

Der Weg zu meiner OP war ein etwas merkwürdiger - jahrelang hatte ich bereits mit einem verminderten Hörvermögen rechtsseitig gelebt, dem ich keine große Bedeutung beigemessen hatte. Dann erlitt ich einen Hörsturz, trotz intensiver Infusionstherapie blieb ich taub auf dem rechten Ohr. Dass der damalige Leiter der HNO Abteilung des KH Lainz meine Taubheit zu einer psychischen Störung machte, werde ich ihm allerdings nie wirklich verzeihen können. :shock: Mir ( bzw. meinen Eltern) wurde empfohlen, autogenes Training zu erlernen, wohl um mich zu entspannen. Diese "Therapie" habe ich nach dem zweiten Mal beendet, sie ergab keinen Sinn für mich. Trotzdem: Mein persönliches Umfeld war der Ansicht, ein Professor müsste es ja wohl besser wissen, als ich - ein relativ umbequemer Teenager. Ich habe mich also damit abgefunden gehabt, als "hysterisch" zu gelten, wusste aber gleichzeitig, dass ich taub war.

1979 bekam ich dann nach einem Flug in den Urlaub sekundenweise Sehausfälle, die ich zunächst auf die starke Sonneneinstrahlung zurückführte. Erst, als diese Ausfälle auch nach meiner Rückkehr nach Wien weiterhin auftraten, besuchte ich unseren "Familienaugenarzt". Nachdem er mir in die Augen geleuchtet hatte, wurde es hektisch. Erinnern kann ich mich nur an das Wort "Stauungspapillen" und an den relativ entsetzten Gesichtsausdruck des Augenarztes. Er veranlasste sofort zahlreiche Untersuchungen im AKH Wien für den nächsten Tag, was mich schon ziemlich beunruhigte. Noch mehr beunruhigte mich dann allerdings das, was ich zuhause in einem medizinischen Nachschlagewerk über Stauungspapillen las - ich dachte sofort an einen bösartigen Gehirntumor. Bei der augenärztlichen Untersuchung im AKH fiel mir spontan meine "Scheintaubheit" wieder ein. Als ich dem Arzt davon erzählte, ging alles sehr rasch. Neurologie, Schädel Scan, CT (??) und Diagnose. Meine Reaktion war für Außenstehende bestimmt sehr paradox: Ich war erleichtert !!! Erleichtert darüber, dass der Tumor gutartig war und besonders erleichtert darüber (ja, schadenfroh eigentlich), dass meine Taubheit REAL war. Nach zahlreichen weiteren Untersuchungen, vielen Visiten von HNO und NCH stand dann der OP Termin. Seitens der Ärzteschaft erhielten sowohl meine Eltern als auch ich die gleichen Informationen, was psychologisch gesehen sehr gut durchdacht war. Mittlerweile war ich doch ein wenig misstrauisch geworden, sowohl den Ärzten als auch meinen Eltern gegenüber. Entgegen der normalen Vorgehensweise, durfte ich meine Haare behalten, ein Zugeständnis seitens der NCH.

Die OP begann, das Warten für meine Eltern und meinen zukünftigen Mann auch. 13 Stunden lang. Ich wachte auf...auf der Intensivstation, mit einer Facialisparese, einem Stück Nervus Suralis weniger und...weiterhin taub. Danach folgte eine weitere OP, Liquorfistel. Erst nach der 1. OP erfuhr ich die Ausmaße dieser Operation und auch deren Folgen für mein weiteres Leben. Die Ärzte hatten bewusst Stillschweigen bewahrt, es war bereits vor der OP klar, dass sowohl der Hör- als auch der Facialisnerv nicht zu retten war, deswegen wurde gleichzeitig ein Nerventransplantat eingesetzt, um dem Gesichtsnerv die Möglichkeit zu geben, durch das Transplantat wieder zusammenzuwachsen. Es dauerte ca. 6 Monate, bis sich erste Erfolge zeigten - allerdings blieb es bei einer Defektheilung- bis heute.

Ihr fragt Euch vielleicht, weshalb ich meine Geschichte, die ja tatsächlich eine "alte" ist, überhaupt erzähle. Ich möchte Euch Mut machen, soweit mir das möglich ist. Jeder von uns hat eine andere Geschichte, einiges jedoch ist für uns alle ziemlich gleich: Die Angst vor diversen Komplikationen, die Unsicherheit, vielleicht sogar eine Art Hilflosigkeit der Diagnose gegenüber.

Die Fragen, die sich aufdrängen, wovon manche vorerst unbeantwortet bleiben müssen. Die Sorge darum, in welcher Qualität das Leben weitergeht, die Frage, ob man das durchstehen kann etc.etc. Ich persönlich lebe nun länger mit den Folgen dieser OP als ohne. Und ich gebe zu - ganz tief im Inneren ist ES immer da- das was sich geändert hat, das was mich von den Anderen unterscheidet. Ich sage aber auch: viele Menschen, ob es nun meine eigenen Kinder sind, oder ArbeitskollegInnen oder Freunde - viele kennen mich nur SO, wie ich seit 9/1979 eben bin. Alle wissen (und vergessen es trotzdem oft wieder :lol: ), dass ich nicht gleichzeitig telefonieren und jemandem Anderen zuhören kann, dass ich nicht reagiere, wenn ich von der "falschen" Seite her angesprochen werde, dass ich grundsätzlich Großveranstaltungen meide bzw. immer meine Sitzposition bestimme, dass ich einäugig weine, mich nicht gerne fotografieren lasse, besonders dann nicht, wenn ich lächeln soll, dass ich nicht pfeifen kann und nach einer Zahnarztbehandlung mit örtlicher Betäubung rechts (die ich mir nur im Notfall geben lasse) meinen rechten Mundwinkel mit den Fingern schließen muss, um verständlich zu sprechen, dass ich wirklich hysterisch werde, sobald mein "gesundes" Ohr verstopft, verlegt oder ähnliches ist, dass ich seehr gut Lippen lesen kann (auch eine Folge meiner Einohrigkeit), dass ich Geräusche nicht zuordnen kann und deshalb auch beim Überqueren einer Straße grundsätzlich in die falsche Richtung sehe (das weiß ich von meinem jüngeren Sohn, ich selber hätte es gar nicht bemerkt) u.Ä.m. Und das alles kommt mir soo normal vor, auch meinem Umfeld - dafür bin ich auch zutiefst dankbar.

Ein tiefes Misstrauen, jeglichen Ärzten gegenüber, ist wahrscheinlich selbsterklärend. Ja, ich bin eine sehr unbequeme Patientin geworden, ich frage Zuviel, habe auch zu wenig Respekt (aus der Sicht der Anderen) vor Autoritäten, wenn ich glaube, dass "irgendetwas im Busch" ist (das Gefühl trügt mich selten 8) ) Damit möchte ich Euch sagen: Seid ruhig mutig, es kann nicht viel passieren. Es ist EUER Leben. Seid schwach, wenn Euch danach ist - das ist o.k. ! Wenn Ihr zweifelt - dann wird es zu Recht so sein. Redet darüber, wenn Euch das gut tut.
Ich stehe Euch sehr gerne zur Verfügung, wenn Ihr das wollt. Auch für kleine Tipps und Tricks, was den Umgang mit nur einem Gleichgewichtsorgan, einem hörenden Ohr und möglicherweise einer nicht ganz so funktionierenden Gesichtshälfte angeht. Es ändert sich vieles noch nach Jahren zum Besseren.

In diesem Sinne, alles Liebe für Euch, viel Kraft, Geduld und Unterstützung...ich bin DA, falls Ihr mich brauchen könnt !

Lg, SSU
Jg 1958 w.,,AN OP 9/79 Facialisplastik AKH Wien, Liquorfistel OP 11/79, Taubheit re, Facialisparese,kein Tränenfluss re, Tinnitus re,kein Geschmackssinn re,Umempfindlichkeit Gesichtshälfte re,eingeschränkte Mimik re, Asymmetrie Stirn,Brauen,Lid
wienerin
Beiträge: 9
Registriert: 06.06.2018, 16:56
Land: A
Geschlecht: w
Geburtsjahr: 1959
Wohnort: Wien

Re: 39 Jahre Leben nach AN OP....Rückblick in Demut

Beitrag von wienerin » 16.11.2018, 23:14

Hallo liebe ssu und alle Mitleser,

dein Beitrag hat mich sehr berührt. Vielen Dank dafür!

Wir sind gleich alt und leben beide in Wien - ich musste deshalb natürlich sofort daran denken, wie mein Leben wohl die letzten 39 Jahre verlaufen wäre, hätte mich mein AK schon als sehr junge Frau besucht.
Es freut mich sehr zu lesen, dass du offensichtlich trotz der Einschränkungen ein "normales" und erfülltes Leben führst. Das hat dir sicher zu Beginn auch viel Disziplin, Konsequenz und "Demut" abverlangt, meine Hochachtung dafür.
1979 war wohl die Diagnose- und OP-Technik noch nicht so weit fortgeschritten wie wir es heute sehen. Dass man damals schon die Nerventransplantation durchgeführt hat, wundert mich fast.

Meine OP ist nun gerade mal 2 Monate her, ich höre jetzt links nichts mehr (oder vielleicht doch?) und habe eine Fazialisparese. Bin aber zuversichtlich, dass sich das weiter verbessert und ich den Uhrglasverband bald los werde. Das stört mich im Moment am meisten da es mein gutes Auge betrifft, am anderen bin ich stark weitsichtig und die Brille sitzt wegen des Verbandes auch schlecht ... daher fällt mir das Lesen und Schreiben (egal ab Papier oder Bildschirm) sehr schwer und ich habe meine Geschichte hier noch immer nicht fertig geschrieben und abgeschickt. Es gibt ein paar Beiträge vom Juni, das war vor meiner Odyssee durch Wiens Spitäler.
Den vollständigem Bericht werde ich hier demnächst in der passenden Rubrik veröffentlichen.

An die Einhörigkeit werde ich mich gewöhnen, das mit dem Gleichgewicht bekomme ich sicher auch in den Griff und an meinem Gesicht arbeite ich fleißig. Vielleicht zu fleißig? Jedenfalls plagen mich seit der OP heftige Kopfschmerzen. Alle gängigen Schmerzmittel bis hin zu Opioiden halfen kaum, seit ca. 2 Wochen nehme ich nun Antiepileptika, damit geht es mir wesentlich besser und ich kann mich endlich auf die bevorstehende REHA konzentrieren.
Wie erging es dir eigentlich puncto Schmerzen, nach der OP und langfristig gesehen?

Es würde mich sehr freuen mit dir in Kontakt zu bleiben, du bist mir ja fast 40 Jahre an Erfahrung voraus :wink:

liebe Grüße und bis bald
59J. w. Diagnose 5/18 1.9x1.4cm Schwindel, Benommenheit, Gangunsicherheit, Erschöpfung, Hörminderung, kein Tinnitus
7/18 2 Wochen stationär im AKH
9/18 OP in der Rudolfstiftung Wien
elf
Beiträge: 410
Registriert: 12.05.2016, 11:35
Land: E
Geschlecht: m
Geburtsjahr: 1944
Wohnort: El Paso

Re: 39 Jahre Leben nach AN OP....Rückblick in Demut

Beitrag von elf » 18.11.2018, 18:42

wienerin hat geschrieben:...
An die Einhörigkeit werde ich mich gewöhnen, das mit dem Gleichgewicht bekomme ich sicher auch in den Griff und an meinem Gesicht arbeite ich fleißig. Vielleicht zu fleißig? Jedenfalls plagen mich seit der OP heftige Kopfschmerzen. Alle gängigen Schmerzmittel bis hin zu Opioiden halfen kaum, seit ca. 2 Wochen nehme ich nun Antiepileptika, damit geht es mir wesentlich besser und ich kann mich endlich auf die bevorstehende REHA konzentrieren...
Hallo wienerin!

Diese Rubrik heißt ja "Lebensqualität".
Hat sich nach der erfolgten OP die Lebensqualität irgendwie positiv geändert?

Beste Wünsche
MRT Mai 2016: AN 21 x16 x 13mm
Juni 2016: Cyberknife
MRT Nov. 2016: Induzierte Schwellung
MRT Juni 2017: Weiter geschrumpft
MRT Juni 2018: Größe unverändert
MRT Juni 2019: Weiter geschrumpft
Antworten