Reizüberflutung und Orientierung
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Reizüberflutung und Orientierung
vielleicht auch aus Müdigkeit merke ich öfter, dass mir viele Gesichter oder Unmengen an Waren in Supermärkten schnell anstrengend werden (obwohl ich beides auch interessant finde), wie in Zügen, oder eben im Supermarkt.
Vielleicht bilde ich mir da aus Müdigkeit einen Zusammenhang zur anderen Gehirnfunktionsweise nach AN-Behandlung ein, oder kennen andere hier das auch? (Reizüberflutung wegen reduziertem Gehör?) Und evtl. auch Orientierungs"schwäche" in neuen Umgebungen, oder Krankenhäusern?
einen schönen Sommerabend,
wünscht Felipina
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Re: Reizüberflutung und Orientierung
ja kenne ich - eine Eliminierung von Störgeräuschen als "Mono" funktioniert ja nicht mehr so wie sich das die Natur gedacht hat. Und die Kompensationsmechanismen brauchen im Oberstübchen einfach mehr "Rechenleistung" - wenn dann noch Zusatzinput kommt strengt das einfach mehr an wie das noch als Stero-Hörender war - so meine ich das zumindest. Hab auch schon mal unbewusst die In-Ears drin gehabt da ich die nac eine Teams Call vergessen hatte fand das dann im Supermarkt irgendwie ganz relaxt .
Marcus (= Easy)
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Re: Reizüberflutung und Orientierung
das beruhigt mich, dass Dir Reizüberflutung auch schon begegnet ist. Der Tipp mit dem Noise-cancelling Kopfhörer ist ja gut!
Ich schätze, ich könnte mir auch mit Einteilen meiner Kräfte helfen, also nur einen Termin wahrnehmen, und nicht zuviele in einer Woche z.B., einfach, um mit meinen scheinbar reduzierten Kräften schonender umzugehen, das wirkt sich bei mir sicher auf meine schnelle "Überreiztheit", das Gefühl von zuvielen Eindrücken in einer Großstadt, öffentlichen Verkehrsmitteln etc. aus. Aber das ist nicht immer möglich, der Alltag ist nunmal voll.
So einen Kopfhörer werde ich mal testen.
Danke für den Tipp! Und wenn jemand anderes das Problem kennt, fände ich das interessant.
Mit freundlichen Grüßen,
Felipina
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Re: Reizüberflutung und Orientierung
die Beitragsüberschrift "Reizüberflutung und Orientierung" ist treffend gewählt - gemeint ist damit die veränderte Wahrnehmung von Sinnesreizen aufgrund eines eingetretenen Hörverlustes. Tatsächlich haben sich die eintreffenden Signale in Quantität und Ausprägung gar nicht verändert, die Rezeption ist allerdings erheblich beeinträchtigt und in der Verarbeitung mit größerer Anstrengung verbunden.
Die frühe Phase des Hörverlustes (meist einseitige Ertaubung) nach einer AN-OP durchläuft das volle Programm. Das Gehirn muss gleichzeitig mehrere Veränderungen "auf die Reihe kriegen", der Wegfall des Hörvermögens eines Ohres ist mehr als der Ausfall eines Sensors. Gewohnte Wahrnehmungsprozesse (räumliches Hören), können nicht mehr funktionieren - die akustische Orientierung im Raum aufgrund von Laufzeitunterschieden gelingt nicht mehr, erwartete Signale bleiben aus oder werden falsch interpretiert.
Wir kennen die Verunsicherung, die sich beim Vernehmen der Alarmsirenen eines Krankenwagens schlagartig einstellt. Aus der Erinnerung signalisiert die Klangfolge eine Notsituation, die auch ohne optische Kontrolle die Herkunft (Richtung) des sich nähernden Fahrzeugs verriet. Das "Normalprogramm" führte über das akustisch vernommene Signal unmittelbar zur optischen Kontrolle, d.h. der orientierende Blick in die Richtung des Signalquelle. Akustischer und visueller Reiz aktivieren kombiniert eine gesteigerte Aufmerksamkeit (Adrinalinausstoß) bei gleichzeitiger Taxierung der "Gefahrenlage" - alles klar, von rechts kommt der Notarzt, keine unmittelbare Bedrohung, Wahrnehmung und Aktivität verlaufen planmäßig und völlig normal.
Und wie ist das bei einseitiger Gehörlosigkeit ? Das Sirenensignal wird vernommen, triggert das Sehvermögen aber unpräzise - mit der Folge, dass die nicht mögliche akustische Orientierung ein pauschales "Hallo" sendet (quasi die Aufforderung an das Auge, schau doch selber mal...), diese erschwerte (verzögerte) Signalverarbeitung das Adrenalin länger und heftiger wirken lässt und die situative Verarbeitung mehr Zeit beansprucht: von wo kommt das verdammte Fahrzeug... ? Stress pur, wo vorher eine normale Alltagssituation von vielen bislang problemlos zu meistern war. "Training" solcher Prozesse findet mit der Zeit und eingeschränkt statt, es bleibt aber ein vergleichsweise anstrengender Ablauf, der vorher so nicht existierte.
Tatsächlich verbirgt sich noch viel mehr hinter dem Ausfall einer Sinnesfunktion wie dem Hörverlust. Das Gehirn schaltet in eine Art Notprogramm, neben Kompensations- und Korrekturmaßnahmen, die den verbliebenen einen Sensor stärker beanspruchen, wird die verbliebene Sinneswahrnehmung stärker mit eingebunden. Fast beiläufig und automatisch übernimmt das Auge Assistenzaufgaben - erlebbar bei der Orientierung in Gesprächsrunden, konzentriertes Zuhören gelingt besser, wenn eine optische Fokussierung möglich wird. "Die Sinne schärfen" könnte man das nennen, anstrengende Hirnleistung, wo vorher selbstverständliche Automatismen funktionierten.
Das alles ist in der Tat anstrengend und bindet Kräfte. Eine Therapeutin erklärte mir dies mit Blick auf eine verbleibende Belastbarkeit, die annähernd nur noch bei der Hälfte läge - übertragen auf Arbeits- und Alltagssituationen: wo vorher 90 Minuten konzentriertes Zuhören angesagt war, fallen nach einer Dreiviertelstunde die Klappen. "Aktives" Hören, erschwert durch permanentes Filtern, Unterscheiden zwischen Nutz- und Störgeräusch, Ausrichten der Wahrnehmung - ist Schwerstarbeit.
Da es in der Praxis nahezu unmöglich ist, den Alltag auf diese Veränderungen anzupassen, kommt es auf die individuelle Resourcenoptimierung an. In der frühen Phase nach der Therapie bedeutet dies, Achtsamkeitsstrategien zu entwickeln. Sich bewusst werden, dass nicht alle Einschränkungen zu beheben sind und Vermeidung zum smarten Ansatz taugen kann. Manches muss neu oder anders probiert werden (Try and error), Schonung für das Gehör z.B. muss nicht bedeuten, allen Geräuschen aus dem Weg zu gehen. Lärmvermeidung ist klar, aber "schonendes Hören" durch Schaffen ungestörter Umgebungen ist erhaltene Lebensqualität.
Stichwort "Noise-Cancelling-Kopfhörer" - im Prinzip die technische Antwort auf komplizierte Akustiksituationen und damit prädestiniert für AN-Betroffene. Ein Chip entlastet das Gehirn von anstrengenden Filter- und Korrekturarbeiten - der Effekt verblüfft nicht nur beim ersten Ausprobieren. Was übrigens auch auf das Konsumieren hochkomprimierter Audiodateien (MP3)zutrifft - solche "verstümmelten" Signale angesichts ohnehin verloren geglaubten Hörgenusses als Musik zu akzeptieren, sollte tunlichst vermieden werden. Es (rest-)klingt nicht nur schlecht, es strengt zudem an - da das Gehirn mit einer weiteren Fleißaufgabe behelligt wird, indem es die nicht vorhandenen Frequenzen zu simulieren (und kompensieren) versucht.
Beste Grüße
snowdog
AN re.5x8 mm,n-c. suboccipital AN-OP in Offenbach 4.08,
postoperativ Liquorfistel,keine Fazialisparese, einseitig taub,chron.Kopfschmerzen,jährl.Kontroll-MRT f.d.ersten 5 J.
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Re: Reizüberflutung und Orientierung
danke für die genaue Schilderung, dass die Verarbeitung von Sinnesreizen beim Fehlen eines Sinnes (ein Ohr weniger) zwangsläufig ermüden muss, und, dass die Augen gefordert sind, beim Orten eines Geräuschs mitzubestimmen, was Energie und neue Verschaltungen im Gehirn erfordert. Das Zitat einer Therapeutin finde ich auch sehr hilfreich, wenn von Seiten der Psychologen oder Neurologen Aussagen kommen, "glauben" einem andere vielleicht, dass die Ermüdung nicht nur normale Erschöpfung nach getaner Arbeit ist.
Achtsamkeit ist ein guter Tipp, ich werde mir das wahrscheinlich langfristig vornehmen (müssen), aber hoffe, dass ich mit so guten Hilfen wie "noise-cancelling-Kopfhörern", oder Strategien wie "Ruhetagen" ohne Lärm oder Termindruck und visuellen Merkhilfen (Zettel und Stift - hat jemand noch andere Ideen?) besser zurecht komme.
Danke, dass Ihr bestätigt, dass Reizüberflutung mit reduzierten Sinnen auch bei Euch vorkommen kann!
Sommerliche Grüße,
Felipina