Nachdenkenswert

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lightly
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Nachdenkenswert

Beitrag von lightly » 11.02.2013, 15:58

Hallo zusammen,
als aktives Mitglied bin ich neu hier, passiv bin ich bereits seit längerem dabei und möchte euch erst mal herzlich DANKE sagen - ich habe viel Info rausziehen können und ihr ward mir (unbewusst) oftmals eine große Hilfe.
Kurz zu meiner Person: Ich bin 43 Jahre alt, verheiratet, habe drei Kinder und mich hat die Diagnose AN letzten Sommer absolut unvorbereitet eingeholt. Ich hatte nur geringe Symptome, die mich überhaupt einen Arzt aufsuchen haben lassen (Leistungsabfall, ständige Müdigkeit, leichter Tinnitus, Gangunsicherheit), im MRT wurde dann ein AN gefunden, so um die 10x10 mm groß, rechts, allerdings recht schlechte Auflösung. Ich hatte die drei Möglichkeiten offen, habe mich recht schnell gegen Bestrahlung (Nach Besuch im Cyberknife Zentrum München) und für OP entschieden. Die Zeit zwischen Diagnose und OP empfand ich nicht als sonderlich belastend - ich hatte viel zu organisieren für die Zeit meiner Abwesenheit in Familie und Beruf, denke jetzt allerdings, dass ich das alles , nämlich die Sorgen und Ängste, gar nicht an mich ranlassen habe. Ich habe sozusagen eine Hyperaktivität an den Tag gelegt, die nichts anderes mehr zulassen hat. Und genau das ist jetzt mein Problem:Die OP ist jetzt drei Monate her und ich merke, dass mich diese Zeit im Krankenhaus, in der Reha und anschließend daheim schwer getroffen hat. Neben den körperlichen Symptomen wie starker, manchmal unerträglicher Tinnitus, Drehschwindel, starke Kopfschmerzen macht mir die psychische Aufarbeitung zu schaffen. Ich stecke nicht unbedingt in einem dunklen Loch, im Gegenteil, ich denke, dass die vergangenen Monate auch eine Art Chance in sich bergen, ich will diese Chance natürlich auch nutzen, finde jedoch keinen Weg. Auf die Kürze ist das schwer zu beschreiben, ich hoffe, ich konnte zumindest ansatzweise darstellen, was los ist. Und deswegen auch meine Frage: Kennt das jemand? Wie habt ihr eure "Geschichte" auf- und angenommen? Wie/Was habt ihr aus und mit dieser Erfahrung gemacht?
Wichtig ist mir noch zu sagen, dass der Weg der richtige war - also OP, auch wenn es mir jetzt (momentan noch) schlechter geht als vorher - aber das Ding war hartnäckiger als gedacht und auch biestiger als auf den MRT-Bildern zu erkennen war und es ist gut, dass es anscheinend komplett draußen ist.
Lightly
Diagnose 07.12; AN rechts 10x10x7 mm; OP Halle 11.12; seitdem starker Tinnitus, Hörminderung, Fazialisparese nur noch leicht, Drehschwindel, Kopfschmerzen
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Re: Nachdenkenswert

Beitrag von mtbleibi » 12.02.2013, 11:06

Hallo Lightly,
dein Bericht liest sich so wie vor deiner OP. Auf jeden Fall scheinst du multitasking fähig :mrgreen:
Er klingt etwas gehetzt. Vielleicht fehlt dir einfach ein bißchen mehr Zeit für deinen Kopf. Nimm sie dir und du wirst sehen, wie auch kleine Fortschritte dir Freude bereiten. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir und sei froh, dass du deinen Untermieter rausgeworfen hast. Dein Rechenzentrum :shock: braucht mehr Zeit. Mir hat man erklärt, dass die Nerven sehr lange brauchen, bis sie ihre Ursprungsleistung wieder aufgenommen haben.
Also Geduld, Geduld und nochmals Geduld. Aber nicht verstecken und weiter so mit deinem Elan. Stillstand ist Rückstand. Mach immer soviel, wie dir gut tut und du wirst sehen, wie schnell sich dein Wohlbefinden verbessert.
Noch ein Tip für deinen Tinnitus. Der muss auch mitkriegen, dass du ihn nicht für voll nimmst. Akzeptiere ihn, aber er gehört ins Unterbewußtsein.

Toi, toi, Toi und du wirst sehen, wie schnell man wieder die oder der Alte ist.

Peter (mtbleibi)
Peter, 57, 2005 AN OP in Hannover, MHH-Neurochirurgie, Prof. Krauss. Nie bereut. Leichter Hörverlust, akzeptabler Tinnitus.
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Re: Nachdenkenswert

Beitrag von 1ohrhase » 13.02.2013, 03:07

Hallo Lightly,

Mir geht es ähnlich wie Dir. Auch bei mir war die Zeit zwischen Diagnose und OP nicht sehr lange, und ich hatte auch vor der (Zufalls-)Diagnose nur sehr wenig Symptome. So blöd es klingt, aber erst als ich aus der OP wieder aufgewacht bin, ist mir so richtig bewusst geworden, wozu ich mich da entschieden hatte und dass diese OP nicht grade ohne war. Ich bin auch in kein Loch gefallen, obwohl ich mich mit diversen Nachwirkungen rumschlagen musste (heftige Doppelbilder, starker Schankschwindel, Taubheit links, Tinnitus), sondern hab mich fleissig wieder ins Leben zurückgekämpft und mich über jeden Fortschritt gefreut, auch wenn er noch so winzig war. Heute, 6 Monate nach der OP, geht es mir wirklich verhältnismässig sehr gut, aber ich muss ständig an die OP und die Zeit danach denken. Irgendwie war das wohl doch ziemlich traumatisch. Einerseits lebe ich mein Leben fast so wie zuvor, aber andererseits merke ich, dass ich doch irgendwie ein anderer Mensch bin und manche Dinge aus einem anderen Blickwinkel sehe. Manchmal überkommt mich auch eine regelrechte Dankbarkeit (obwohl ich nicht gläubig bin), dass ich alles so gut überstanden habe und alles hätte noch viel schlimmer kommen können.

Mit dem Tinnitus wird es sicher besser. Das wichtigste ist, ihn zu akzeptieren, ihm aber keine Aufmerksamkeit zu schenken. Das sind ja "nur" irgendwelche Nervenzellen, die rumspinnen. ich weiss, das ist einfacher gesagt als getan. Aber mit der Zeit klappt das immer besser. Je intensiver man sich mit einer anderen Sache beschäftigt, desto mehr tritt das Geräusch im Ohr in den Hintergrund.

Ich wünsche Dir viel Kraft und Erfolg bei der weiteren Genesung!

1ohrhase
1970, w, 20.2.12 Zufallsbefund AN li. (6x6mm intram.), mehrere Hörstürtze März-April ´12, OP 2.8.12 Prof. Tatagiba Tübingen (suboccipital, liegend), Reha Römerwallklinik Mainz, Sehstörungen bis 4 Wochen nach OP, keine Facialisparese, li. taub, Tinnitus
lightly
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Re: Nachdenkenswert

Beitrag von lightly » 13.02.2013, 22:34

Also, ich merke gerade, dass ich noch etwas unbeholfen bin mit wie ich hier welchen Beitrag wohin kriege - hoffentlich klappt das jetzt so wie ich mir das vorstelle.
:D meinen Beitrag habe ich wirklich etwas in Hetze geschrieben (so wie jetzt auch, weil halt die Kleine endlich ins Bett muss...) :D
Und da habe ich auch schon meinen ersten "Nachdenkpunkt":Klar bin ich ein eher impulsiverer Mensch, voller Elan und Power (auch wenn diese manchmal seltsame Wege einschlägt), aber im KH und In Reha habe ich (zwangsläufig) auch Ruhe, Passivität kennengelernt und konnte meine Zeit ohne Probleme auch mal damit verbringen, einen Nachmittag lang den Sekundenzeiger der Uhr zu beobachten. Alles in allem ein so schönes Gefühl, dass ich mir fest vorgenommen habe, ein bisschen davon in meinen Alltag mitzunehmen - leider ist dies schon fast wieder verschwunden und eher umgeschwenkt in große Aktivität und Aktionismus.
Geduld - dieses Wort kann man sehr breit auslegen und ich habe es sehr oft gehört in den letzten Wochen. Ich bin bereit dazu, mich in Geduld zu üben,(und es klappt auch immer öfter) merke aber, dass meine Umwelt das nicht ganz verstehen kann. "Warum bist du immer noch nicht arbeitsfähig? Was - du kannst immer noch nicht Autofahren?"
Lieber 1ohrhase,
du schreibst, dass du oft an die OP und die Zeit danach denken musst. Wie gehst du dann mit diesen Gedanken um? Haben sie Wirkung auf dein jetziges Leben? Zumindest hört sich diese Veränderung bei dir positiv an. Meine Gedankenwelt diesbezüglich ist noch diffuser, geht aber auch in die Richtung.
Alles Gute
lightly
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Re: Nachdenkenswert

Beitrag von snowdog » 13.02.2013, 22:44

Hallo lightly,

schön dass Du dich entschlossen hast, Deine Erfahrungen ins Forum zu
schreiben. Es dürfte sehr viele unter uns Operierten geben, denen es ganz
ähnlich ergangen ist - nach erfolgreich überstandener OP das erste Gefühl
der Erleichterung, die frühe Phase der Heilung und eine erste
„Bestandsaufnahme“ der Symptome.

Ist diese akute Phase überwunden, die OP-Narbe verheilt und die REHA
absolviert, steht das an, was man mit „Rückkehr in die Normalität“
überschreiben möchte. Der Ausnahmezustand Operation und Schonung
war leidlich gut akzeptiert, mit der „Normalität“ tut man sich schon schwerer.

Du bist mit 3 Monaten nach der OP immer noch in der frühen Phase,
das bedeutet, dass sich sämtliche Beschwerden mit zunehmender Zeit
verändern werden - manches klingt ab, an manches gewöhnt man sich,
anderes gilt es so gut wie möglich in den Griff zu bekommen.

Der Operateur und OP-Bericht geben Auskunft, ob Nerven irreparabel
zerstört bzw. durchtrennt sind – dadurch erlittene Taubheit ist dauerhaft.
Temporäre Einschränkungen (i.d.R. Fazialisparese) oder kompensationsabhängige
Heilungsverläufe (Gleichgewichtsnerv) haben aber einen unterschiedlich langen
Zeitablauf - hier besteht grundsätzlich Hoffnung auf Besserung (Ausheilung).

Dazu kommt das Bündel der „diffusen“ Beschwerdesymptome, also
Kopfschmerzen,Schwindel, Gang- und Bewegungsunsicherheit, Tinnitus,
allgemeine Schwäche/geringere Belastbarkeit, Müdigkeit, die einzeln oder
kombiniert in allen unliebsamen Varianten auftreten können. Für manchen
sind das oft die unangenehmsten Folgen, weil darauf schwer bis kaum
einzuwirken ist oder eine Linderung manchmal erst in Folge eines langen
Prozesses eintreten kann.

Das, was Du treffend „psychische Aufbereitung“ nennst, ist nämlich
begleitet von Ängsten, Unsicherheiten und eben auch Schmerzen.
Und eine Hirntumoroperation ist entgegen heimlicher Hoffnungen nicht
im Vorübergehen wegzustecken - was der Chirurg als verheilt definiert,
läuft nicht nur über einen längeren Zeitraum als ein paar Monate
OP-REHA-Erholung ab.
Einen Regelfall zu beschreiben, ist nahezu unmöglich.

Mir scheint, Du hast den richtigen Ansatz gewählt – die Entscheidung
zur OP bejahen und jetzt daran hochziehen, dass mit der Zeit eine
Besserung der Symptome einhergeht.
3 Monate ist ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum – lass es ruhig etwas
langsamer angehen und denke an die wichtige Schonung. Verspürst
Du zunehmend einen pychischen Druck, der sich wie Stress anfühlt,
versuche es vielleicht einmal mit Entspannungstechniken
(z.B. autogenes Training).

Alles Gute und weiterhin gute Besserung.

Beste Grüße
snowdog
snowdog (Moderator seit 4.12) Jg.62,m,verh.,2 Söhne,
AN re.5x8 mm,n-c. suboccipital AN-OP in Offenbach 4.08,
postoperativ Liquorfistel,keine Fazialisparese, einseitig taub,chron.Kopfschmerzen,jährl.Kontroll-MRT f.d.ersten 5 J.
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Re: Nachdenkenswert

Beitrag von 1ohrhase » 14.02.2013, 01:31

Hallo lightly,

Ich glaube, ich nutze die Erfahrung vor allem positiv. Ich nehme manches nicht mehr so ernst und freue mich schon über kleine Dinge. Immer wieder führe ich mir vor Augen, dass alles noch viel schlimmer hätte kommen können. Das AN und die OP war schon das dritte Mal, dass es gesundheitlich auch hätte anders ausgehen können. Als Teenager hatte ich einen schweren Unfall und musste wieder laufen lernen und vor ein paar Jahren hatte ich eine heftige Schweinegrippe, von der ich mich Monate erholen musste. Aber jedes mal bin ich wieder auf die Beine gekommen. Es ist schon wirklich erstaunlich, was der Körper alles wieder so hinbekommt. Der Tinnitus, die Taubheit, leichter Schwindel und ab und zu Kopfschmerzen sind für mich durch diese Sichtweise erträglich geworden. Manchmal merke ich aber auch, dass ich "sentimentaler" bin als vorher und bei traurigen Filmen gleich heulen muss. Aber das ist ja nicht so schlimm :wink:

Mein Umwelt allerdings hat gar nicht so richtig mitbekommen, dass ich eine heftige OP hatte. Ich gehe ja wieder normal arbeiten und bin auch sonst viel unterwegs. Wenn ich darüber mit Bekannten oder Kollegen rede, schau ich oft in entsetzte Gesichter, sie sind irgendwie peinlich berührt. Ich möchte ganz unbekümmert darüber sprechen, wie es mir ergangen ist, und dass ich viel Glück gehabt habe, aber für sie ist das glaube ich unangenehm und sie wissen gar nicht was sie sagen sollen. Ausser, die Frage, die wohl jeder bei der OP Ertaubte kennt: ist das Ohr wirklich für immer taub oder wird das wieder? Das ist manchmal ganz schön frustrierend.

Liebe Grüße,

1ohrhase
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