7 Monate nach transtemporaler AN-OP

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claude
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7 Monate nach transtemporaler AN-OP

Beitrag von claude » 23.02.2011, 17:21

Hallo liebe Forumsmitglieder!

Ich habe lange gebraucht, um etwas zu schreiben. Gelesen und von Euch gelernt habe ich seit Mai 2010. Seit dem habe ich mich mit Eurer Hilfe auf die OP am 16.07.2010 in Mainz durch Prof. Mann vorbereitet. Schreiben wollte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Seit meiner Diagnose (15.2.2008) bis zur OP-Vorbereitung, also über 2 Jahre “watch & wait” wollte ich auch gar nichts von anderen Betroffene lesen. Ich musste in der von mir benannten Phase der “friedlichen Koexistenz” (think positive!) Abstand halten. Da ist jeder anders.

Dieses Forum ist eine großartige Hilfe. Herzlichen Dank an Euch alle und besonders an ANfux, der alles zusammenhält. Ich habe sehr profitiert und nun kann ich vielleicht mit meinen Erfahrungen weiterhelfen. Um mich vorzustellen, finde ich die Rubrik “Lebensqualität nach AN-Therapie” ganz passend. Deshalb beginne ich mit der Beschreibung des aktuellen Zustandes (7 Monate nach OP) im Vergleich zu der Zeit direkt nach dem Eingriff. Meine Vorgeschichte mit Schwerpunkt Schwindel habe ich unter die Rubrik “Entscheidung OP oder nicht?” gestellt. Ich mag ausführliche Informationen - seht mir nach, wenn ich etwas vergessen habe. :lol:

Claude

Juli 2010 - direkt nach OP und Februar 2011 - 7 Monate nach OP:
In der Gesamtbetrachtung bin ich zufrieden! Ganz wichtig für das gute Grundgefühl ist, dass der Tumor (re, 1,6x1,0x0,8 cm, intra-/extrameatal) komplett entfernt werden konnte.
Nach der OP (Zugang subtemporal) hat Prof. Mann mir die folgenden Eckdaten mitgeteilt: “Der Hörnerv wurde erhalten, beide Äste des Gleichgewichtsnerven durchtrennt. Da der Tumor ein “harter Hund” (trocken) war, musste er mühevoll in Halbmillimeterschnitten von den Nerven abgetragen werden. Dabei habe ich den Facialis an einem unerwarteten “Knie” erwischt, der nun beleidigt ist. Sie brauchen Zeit und Geduld, aber Sie werden wieder ganz die Alte.”
Im Krankenhaus war ich 3 ½ Wochen, 8 Tage davon nach der OP auf der Überwachungsstation wegen Otoliquorrhoe, die dann nach 1 Woche sistierte. Eine Lumbaldrainage wollte ich nicht. Außerdem habe ich, nachdem das Ohr dicht war, jeden 2. Tag insgesamt 7 intratympanale Injektionen mit Cortison und Hyaluronsäure (Spritzen ins Ohr) erhalten, die sich sehr positiv auf die Regeneration des Hörorgans ausgewirkt haben.

Die Lage nach Entlassung aus dem Krankenhaus sah wie folgt aus:
Facialisparese Grad IV mit Tendenzen Mund/Stirn zu Grad V.
Trockenes Auge + trockene Nase rechts
Kiefersperre (1cm) + Ziehen beim Öffnen nach rechts
Hörminderung, Hochtonsenke bis 60 dB bei 3 kHz
Tinnitus, leiser und die diversen Tonfrequenzen höher als vorher
Leichter Schwankschwindel, Koordinationsprobleme bei zeitgleicher Kopf-/ Körperbewegungen bzw. bei Fremd-/ Eigenbewegungen (Bsp.: Geradeauslaufen und etwas anschauen, einfahrende U-Bahn am Gegengleis beim Aussteigen aus der Bahn).
In der Anfangsphase Kopfschmerzen, v.a um Auge re, gelegentlich Ohrenstiche
Sensibilitätsstörungen/Schmerzen im Bereich der Narbe/Ohr begleitet von Lymphstau mit starken Schwellungen Augenlid/ Stirn, Tränensack/ Wange/ Unterkiefer, Oberkieferknochen bis hinters Ohr (dadurch “Segelohr“)
Schnelles Erschöpfen, enormes Schlaf- und Ruhebedürfnis

Schwindel war bei mir aufgrund der Vorgeschichte (s. “Entscheidung OP oder nicht?“) nicht mehr DAS Thema. Vor der OP wurde beim Test festgestellt, dass der rechte Vestibularis kaum noch Funktion übernommen hat und das linke Gleichgewichtsorgan zu ca. 87 % kompensatorisch eingesprungen war. Am meisten hat mich die Facialislähmung im Bereich des rechten Auges gestört. Zum Lidschluss fehlten anfangs 6-8 mm. Als kurzsichtige Brillenträgerin war ich in der Fokussierung stark beeinträchtigt. In der ersten Woche konnte ich die Brille gar nicht haben. Dann ging es zeitweise mit Brille, teilweise zusätzlich auch tagsüber mit Uhrglasverband drunter. Man tastet sich so vorwärts! :wink:

Inzwischen hat sich sehr viel getan:
Trockenes Auge (VitApos tags, Bepanthen nachts) bleibt - vorerst.
Trockene Nase wird langsam besser (Bepanthen). Daran soll nicht der Facialis Schuld sein, sondern die Parese und die durch den Schiefstand der Nasenspitze veränderte “Aerodynamik” beim Lufteinziehen.
Kiefersperre ist weg, noch leichtes Ziehen beim Öffnen nach rechts, abnehmende Tendenz!
Hörminderung, Hochtonsenke bis 60 dB bei 3 kHz, und Tinnitus gefühlt stabil!
Kein Schwankschwindel bzw. Koordinationsprobleme mehr. Dafür traten im Nov. und Dez. 2010 zwei Episoden mit leichtem Lagerungsschwindel auf, deren Auslöser (Richtung + Nystagmus eindeutig) im rechten hinteren Bogengang lag! Oh Wunder - Beide Ansätze des N. vestibularis komplett durchtrennt? Mein HNO wurde ganz nervös. Der Otolithentest/ VEMP zeigte dann eine Erregbarkeit des Sacculus rechts. Die Kurve re entsprach der Kurve der gesunden Seite, war allerdings eine Miniaturausgabe. Einzige Erklärung - durch die Uniklinik in Mainz bestätigt: Der innere Ast des Vestibularis wurde doch nicht komplett durchtrennt. Eine irgendwie geartete Regeneration (Zusammenwachsen) wurde aufgrund des geringen zeitlichen Abstands zum Eingriff ausgeschlossen. Dann hätte mein Facilis zu diesem Zeitpunkt schon lange wieder hergestellt sein müssen.
Narbe super verheilt, spannt nur noch selten, Lymphstau nur noch unter dem Auge und deutlich reduziert (Ohr wieder normal anliegend!)
Verspannungen seitliche Hals-, Nacken- und Schultermuskulatur
Facialisparese Grad III bis IV.
Tägliches Facialistraining ist wohl noch lange wichtig. Es geht langsam aber kontinuierlich besser, was die Beweglichkeit angeht. Ich habe bemerkt, dass bei mir nach 2 bis 3 Wochen “Stillstand” ein kleiner Schub kommt und sich wieder etwas Neues regt. Nach 5 Monaten hatte ich fast den Lidschluss erreicht, so dass mir seit Anfang des Jahres ein dicker Streifen Bepanthen zur Nacht ausreicht und ich mich vom Uhrglasverband verabschiedet habe. Leider sind vor 2 Wochen Synkinesien aufgetreten, für mein Empfinden ganz spontan - Zack - Was war das? Stirn hoch = Mundwinkel hoch. Auge schließen = Mundwinkel hoch. Augenbrauen zusammen = Mundwinkel hoch. Zähne zeigen = Randspitze der Augenbraue hoch. Der rechte Mundwinkel scheint seit seiner Erweckung alles nachholen zu wollen, was er verpasst hat. Beim Lächeln zieht nur der Mund breit. Das klappt. Ich forsche noch zu weiteren Tipps, die von Vane und Bini praktiziere ich schon. Allerdings ist es bei mir so stark, dass ich kaum noch die entsprechende Übung ausführen kann ohne den falschen Muskel zu bewegen. Außerdem kann ich den Lidschlag nicht kontrollieren. Er wird automatisch gesteuert und jedes Mal zuckt der rechte Mundwinkel stark mit. Ich schlafe auch lächelnd ein, denn sonst geht das Auge nicht zu! Dafür öffnet es sich bei der Entspannung des Gesichts dann wieder. Eine Baustelle mehr! Keep smiling!

Mein Hauptthema sind neben dem Verspannungskopfschmerz seit September 2010 Kopfschmerzen, wovon ausschließlich die linke, also nicht operierte Seite betroffen ist. Es sind Attacken unterschiedlicher Dauer und Stärke, die immer wieder die gleichen Areale (Hinterkopf, Oberkopf (Seitenscheitel), Stirn, Auge, Nasenwurzel, Oberkiefer) betreffen. Täglich, viele Male eher Schmerzintensität 1-2 bis 4-5, also grundsätzlich verkraftbar sind.
Aber dann kommen nächtliche Attacken (1-2 Mal im Monat, für 2-3 aufeinanderfolgende Nächte), die die Nacht rhythmisch unterbrechen in schmerzfrei und schmerzend. Dabei sind die Schmerzphasen nochmals unterteilt nach Schmerzintensität - in Wellen immer auf und ab von 4-5 alle Stufen bis 9, nicht in zahlengerechter Abfolge. Die 9er sind in den frühen Intervallen (1 Uhr, 2 Uhr, 4 Uhr) häufiger und die frühen Intervalle dauern insgesamt länger. Es wird also zum Morgen besser und wandelt sich dann ins Tagesprogramm. An dieser Stelle danke ich stellvertretend für alle KS-Erfahrungsberichte ganz herzlich Vane + Snowdog!
Ich bin jetzt (nach 3-monatiger Wartezeit auf einen Termin) in neurologischer Behandlung. Für den Arzt gibt es keinen anatomischen Zusammenhang zw. AN OP und dem KS, den er als neuralgiform (Richtung SUNCT-Syndrom) eingestuft hat, was ich als Diagnose annehmen kann. Ich soll ein Antiepileptikum einnehmen (Gabapentin), womit ich mich schwer tue. Ich werde mir aus persönlichen Gründen eine 2. Meinung einholen und habe die Hoffnung, auf einen Arzt zu treffen, mit dem eine Art von Gespräch zustande kommt. Zum Glück habe ich einen Ersatztermin stehenlassen, als ich Anfang Dezember alle Neurologen aus dem Telefonbuch antelefoniert habe. Das war ein guter Tipp einer Kollegin!

Zum Abschluss etwas aus der Praxis für die Praxis - Therapien, die mir gut tun:
Teilnahme am ganz normalen Alltag (Familie + Freunde, Arbeiten - noch Wiedereingliederung, Sport - noch sehr gemäßigt, wohldosierte Gartenarbeit)
Tägliches Facialistraining vor dem Spiegel + elekt. Zahnbürste (PNF)
Akupunktur für Facialis und gegen Kopfschmerz (erleichtert für gewisse Zeit)
Lymphdrainage
Osteopathie/ Neuro-Cranio
Physiotherapie, anfangs Schwindeltraining
Tai Chi , das ich auf Empfehlung von Prof. Mann seit 2008 wieder regelmäßig übe, “erdet” Mensch nicht nur im Kampf gegen Schwindel.
Alles was die Kopf-/Hals-/Nacken-/Schulter-Muskulatur entspannt (kurze Wärmeanwendung, autogenes Training, Massagen, Manuelle Therapie, tlw. Einnahme von Muskelentspannungspräparaten, Tens-Gerät)
Unangenehmes (z.B. wimmelige, murmelnde Menschenmassen, Rolltreppen) nicht komplett meiden, sondern sich bei guter Tagesform zeitlich begrenzt und moderat fordern. Nicht bis an die Grenze gehen! Es ist vieles eine Frage des Trainings. Durch regelmäßiges Üben wird es besser. Daran glaube ich ganz fest. Nicht aufgeben. Sich selber Zeit geben! (Das G-Wort mag ich wie einige hier nicht.)

Lebensqualität nach AN OP? Aber selbstverständlich!!! Den Zustand von vor der OP habe ich allerdings noch nicht erreicht. 7 Monate danach muss ich mich noch viel mit mir beschäftigen. Ich investiere viel Zeit (und auch Geld). Scherzhaft sage ich: Ich brauche keine Hobbies! Natürlich hätte ich gerne mehr Zeit für anderes. Das wird kommen. Alles zu seiner Zeit!
1972, w., 16x10x8 mm AN re in-+extr.meatal, OP in Mainz am 16.07.2010, kompl. entfernt, Hörminderung, Tinnitus, Fazialisparese, trockenes Auge + Nase, Kopfschmerz links!, Synkinesien seit 28. Wo. nach OP (Auge/Stirn-Mund), Gleichgewicht wieder da!
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Re: 7 Monate nach transtemporaler AN-OP

Beitrag von ANFux » 25.02.2011, 19:29

Liebe claude,

mit Deinen beiden ersten Beiträgen hast Du Dich vorbildlich und nachhaltig zu Wort gemeldet. Kompliment. Es gibt nicht viele, die über so einen langen Zeitraum mit solcher Akribi und auch Sinn für das, was notierenswert ist, sich selbst beobachten und Buch führen. Da muß man ein Faible dafür haben.
Dein anfänglicher Hinweis von Dir „Ich mag ausführliche Informationen“ könnte von mir sein...
Die Tatsachen, dass Dein Beitrag viel gelesen wird, aber dass wenige Fragen dazu kommen, sind ein Beleg dafür, dass Du die möglichen Fragen der Lesenden schon gerochen hast.

Vier Dinge möchte ich hervorheben:
Die ausführliche Auflistung der doch zahlreichen Beschwerden und deren Verlauf, der bei den meisten positiv ist.
Starke Kopfschmerzen, das habe ich jüngst wieder von Ärzten erfahren, ist sehr oft ein Folge von Verspannungen, wobei diese auch von psychischem Streß verursacht werden können. Die cranosacrale Therapie kann hier helfen.
Deine Praxistips, von denen ich ausdrücklich unterstreichen möchte, sich nicht zu isolieren und quasi alles von früher jetzt möglichst auch zu tun, allerdings einen Gang gemächlicher, besonnener.
Der ungewollte Erhalt eines Astes des Vestibularisnervs sollte Grund sein, Dich mit an auszutauschen und an der Analyse teilzunehmen, die an und ich demnächst im Forum noch einmal anschieben wollen.

Ich wünsche Dir weitere schrittweise Besserungen.
Beste Grüße
ANFux
1939, m. '94 transtemp. OP (15 mm) in Magdeburg/Prof. Freigang, einseitig taub, kein Tinnitus, keine Fazialispar. Rehakur in Bad Gögging. '96-'04 im Vorstand d. VAN in D, seitdem Beratungen zum AN. Ab '07 Moderator, ab '08 Homepage-Verantwortl.(bis 2012)
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Re: 7 Monate nach transtemporaler AN-OP

Beitrag von claude » 28.02.2011, 18:32

Lieber ANfux,

ich freue mich über Deine positive Antwort zu meinem Beitrag und über die Besserungswünsche! Danke!
Du liest wirklich aufmerksam und hast mich erkannt.

@ “Starke Kopfschmerzen, das habe ich jüngst wieder von Ärzten erfahren, ist sehr oft ein Folge von Verspannungen, wobei diese auch von psychischem Streß verursacht werden können. Die cranosacrale Therapie kann hier helfen.“

Dass ich Verspannungen habe, schreibe ich in meinem Bericht. Über das „normale Maß eines Schreibtischarbeiters“ gehen sie seit dem Schwindel 2008 hinaus.

Meine Physiotherapeutin behandelt mich mit einer Form der craniosacralen Therapie, sie nennt es Neuro Cranio. Wie das einzuordnen ist, weiß ich nicht. Sie behandelt dabei nur Kopf und Hals. Jedenfalls wirkt es beruhigend auf mich. Und das ist oft auch notwendig, gehöre ich doch zu denen, die alles wollen und am liebsten sofort. Soviel zu Psychostress! Das AN hat mich schon in eine andere Richtung erzogen. Trotzdem muss ich mich immer bremsen. Ums mit der Großmutter zu sagen: Einsicht ist der erste Weg zur Besserung! :)

Die Beiträge von an habe ich teilweise bereits gelesen und werde mich weiter damit beschäftigen. An der Analyse nehme ich gerne teil.

Wegen der Kopfschmerzen und der Synkinesien werde ich Mitte März zu Prof. Mann fahren. Bei der Gelegenheit werde ich ihn auch noch mal zu meinem Vestibularnervrest befragen.

Viele Grüße + bis demnächst,
Claude
1972, w., 16x10x8 mm AN re in-+extr.meatal, OP in Mainz am 16.07.2010, kompl. entfernt, Hörminderung, Tinnitus, Fazialisparese, trockenes Auge + Nase, Kopfschmerz links!, Synkinesien seit 28. Wo. nach OP (Auge/Stirn-Mund), Gleichgewicht wieder da!
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