Knapp zwei Jahre nach der OP - ein Rückblick.
Verfasst: 02.08.2016, 17:09
Am 13.11.2014 wurde mein AN in der Neurochirurgie der Uniklinik Würzburg operiert. Nach 8 Stunden musste ein Rest auf dem Fazialisnerv belassen werden, um diesen nicht komplett zu zerstören.
Nach fast zwei Jahren sind einige Beschwerden geblieben, mit denen ich nun zu leben gelernt habe:
- linkseitige Fazialisparese mit Defektheilungen (Auge tränt beim Essen, Mundwinkel zieht beim Schließen des Auges nach oben), Muskelverspannungen im Gesicht
- links Schwerhörigkeit und Tinnitus
- Lidschluss immer noch nicht komplett, das Auge kann nicht mehr zwinkern
- teilweise Geschmacks- und Geruchsstörungen
- je nach Tagesform Gangunsicherheit, Benommenheit, Schwindel
- immer noch starker Zug an der Narbe, Nackenverspannung
- Minderbelastbarkeit, Konzentrationsstörung
Die Parese ist wohl das, womit ich am meisten zu kämpfen hatte und ab und an noch habe. Sie ist sichtbar und schränkt so völlig normale Alltagsdinge wie bspw. das Essen ein. Ich kann kein Brötchen mehr essen ohne mir dabei auf Lippe zu beißen, trinken aus der Flasche oder mit Strohhalm geht nicht mehr ohne zu kleckern. Der Tränenfluss beim Kauen....
Ich habe gelernt damit zu leben und akzeptiert, dass ich nun anders aussehe. Dabei habe ich bewusst versucht, mich nicht zurück zu ziehen, sondern weiterhin Freundschaften und generell soziale Kontakte zu pflegen. Das liest sich jetzt natürlich so, als wäre ich da völlig selbstbewusst ran gegangen. Nein, natürlich nicht. Ich habe mich oft zurück gezogen und war extrem verunsichert. Aber Freunde, Familie, Kollegen und meine Therapeutin haben mir da immer wieder raus geholfen.
Nach 18 Monaten Krankmeldung habe ich im Rahmen einer Wiedereingliederung angefangen zu arbeiten und bin seit April 2016 wieder halbtags beschäftigt.
Das erste Vierteljahr nach der OP war ich oft erschöpft und habe mich nahezu täglich mittags eine Stunde hingelegt. Auch bei der Wiedereingliederung, als der Kopf wieder mehr gefordert war, kam die Erschöpfung schnell zurück und das tägliche einstündige Nickerchen wurde wieder eingeführt. Mittlerweile fühle ich mich leistungsfähiger, wenn auch die Aufmerksamkeitsspanne und die Konzentrationsleistung nicht wieder auf dem Stand von vor der OP ist. Aber hey - mit etwas über 50 kann man sich das auch leisten.
Moderater Sport hat geholfen. Walken, schwimmen, Yoga und Meditation. Ganz wesentlich war auch die psychotherapeutische Begleitung während dieser Zeit. Insbesondere die Belastung der Gesichtslähmung hätte ich ohne diese Therapie wohl nicht so gut in den Griff bekommen.
Was auch noch ganz, ganz wichtig und unwahrscheinlich hilfreich war und noch ist, ist die neuropsychologische Therapie. Ich habe das große Glück im unmittelbaren Umfeld der neuropsychologischen Hochschulambulanz der hiesigen Uni zu arbeiten und bin daher sehr leicht in den Genuss dieser speziellen Behandlung gekommen. Schwerpunkt sind Schädel-Hirn-Trauma-Patienten, zu denen wir ja alle gehören. Es werden unzählige Tests und Messungen durchgeführt und dann auf die einzelnen Problemstellungen zugeschnittene Übungen durchgeführt. Bei mir war es u.a. ein sehr umfangreiches Gleichgewichtstraining, Fusionstraining für die Augen, Konzentrationsübungen etc.
Die Neuropsychologie hat wirklich maßgeblich dazu beigetragen, dass es mir heute so gut geht! Für alle, die sich dafür interessieren: diese Therapie ist eine Kassenleistung und bedarf keiner vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse. Ich weiß nicht, ob es woanders noch ähnliche Therpieangebote gibt, das kann man aber sicher übers Internet herausfinden.
Meine Erfahrung hat gezeigt, dass nur wenige Ärzte überhaupt wissen, was die Neuropsychologie überhaupt für eine Disziplin ist. Wie auch die wenigsten Ärzte mit der Komplexität der Beschwerden, die ein solcher Tumor und die OP mit sich bringt umgehen können. Die meisten meiner Ärtze sind nach wie vor damit überfordert. Es wird eigentlich nur an einzelnen Symptomen herum therapiert, weshalb ich zwischenzeitlich bis auf die Neurospychologie alle anderen Therapien beendet habe.
Ich muss leider auch sagen, dass die Nachsorge in Würzburg sehr zu wünschen übrig ließ. Mir wurden hier weder Therapievorschläge gemacht, noch auf die Folgeschäden der OP eingegangen. Im Prinzip hat man mir dort nur gesagt, was der Radiologe in seinem Befund des jeweils aktuellen MRT vermerkt hatte: kein Wachstum des verbliebenen Tumors bis heute. Das ist natürlich das Wichtigste und ich bin froh, dass es so ist!
Als ich mir dann aber bei der zweiten Nachsorge nach gut einem Jahr anhören musste, dass man sehr unzufrieden sei mit dem Heilungsverlauf - insbesondere im Hinblick auf die Fazialisparese - habe ich beschlossen, dass ich mir die 600 km hin- und zurück schenken kann und statt dessen künftig zu meinem ortsansässigen Neurologen gehe, der mich ohnehin schon seit Jahren kennt.
Ich bereue die OP nicht. Sie war notwendig und für mich alternativlos. Ich wollte keine Bestrahlung, das war klar und zudem war der Tumor mit Stadium T4 ohnehin zu groß für eine Bestrahlung. Die Neurochirugie in Würzburg war für mich zum damaligen Zeitpunkt die erste Wahl und ich habe sie nie bereut. Das Pflegepersonal und die Ärzte waren sehr nett, kompetent und hilfsbereit. Ich fühlte mich dort gut aufgehoben. Dass das bei der Nachsorge nun leider nicht mehr so war ist bedauerlich, da für mein Empfinden die eigentlichen Beschwerden erst nach der OP angefangen haben. Dafür hätte ich mir tatsächlich mehr Unterstützung und Tipps erhofft, statt alles mühsam selber heraus zu finden.
Ich habe mich verändert in den letzten knapp zwei Jahren. Ich versuche, bewusster zu leben, gnädig mit mir und meinen Ansprüchen an mich umzugehen. Ich beziehe mittlerweile eine Teilerwerbsminderungsrente und habe einen GdB 50. Ich genieße es, weniger arbeiten zu müssen und nehme mir möglichst viel Zeit für mich. Ich bin auf jeden Fall egoistischer geworden, aber auch weniger hektisch und getrieben und verständnisvoller für Probleme anderer. Ich kann auch mal fünfe gerade sein lassen. Das alles bedeutet Lebensqualität für mich und es ist in der Tat "Qualität". Das versuche ich mir, trotz der Einschränkungen, jeden Tag bewusst zu machen. Nicht immer ganz erfolgreich, aber immer öfter!
LG Tinka
Nach fast zwei Jahren sind einige Beschwerden geblieben, mit denen ich nun zu leben gelernt habe:
- linkseitige Fazialisparese mit Defektheilungen (Auge tränt beim Essen, Mundwinkel zieht beim Schließen des Auges nach oben), Muskelverspannungen im Gesicht
- links Schwerhörigkeit und Tinnitus
- Lidschluss immer noch nicht komplett, das Auge kann nicht mehr zwinkern
- teilweise Geschmacks- und Geruchsstörungen
- je nach Tagesform Gangunsicherheit, Benommenheit, Schwindel
- immer noch starker Zug an der Narbe, Nackenverspannung
- Minderbelastbarkeit, Konzentrationsstörung
Die Parese ist wohl das, womit ich am meisten zu kämpfen hatte und ab und an noch habe. Sie ist sichtbar und schränkt so völlig normale Alltagsdinge wie bspw. das Essen ein. Ich kann kein Brötchen mehr essen ohne mir dabei auf Lippe zu beißen, trinken aus der Flasche oder mit Strohhalm geht nicht mehr ohne zu kleckern. Der Tränenfluss beim Kauen....
Ich habe gelernt damit zu leben und akzeptiert, dass ich nun anders aussehe. Dabei habe ich bewusst versucht, mich nicht zurück zu ziehen, sondern weiterhin Freundschaften und generell soziale Kontakte zu pflegen. Das liest sich jetzt natürlich so, als wäre ich da völlig selbstbewusst ran gegangen. Nein, natürlich nicht. Ich habe mich oft zurück gezogen und war extrem verunsichert. Aber Freunde, Familie, Kollegen und meine Therapeutin haben mir da immer wieder raus geholfen.
Nach 18 Monaten Krankmeldung habe ich im Rahmen einer Wiedereingliederung angefangen zu arbeiten und bin seit April 2016 wieder halbtags beschäftigt.
Das erste Vierteljahr nach der OP war ich oft erschöpft und habe mich nahezu täglich mittags eine Stunde hingelegt. Auch bei der Wiedereingliederung, als der Kopf wieder mehr gefordert war, kam die Erschöpfung schnell zurück und das tägliche einstündige Nickerchen wurde wieder eingeführt. Mittlerweile fühle ich mich leistungsfähiger, wenn auch die Aufmerksamkeitsspanne und die Konzentrationsleistung nicht wieder auf dem Stand von vor der OP ist. Aber hey - mit etwas über 50 kann man sich das auch leisten.
Moderater Sport hat geholfen. Walken, schwimmen, Yoga und Meditation. Ganz wesentlich war auch die psychotherapeutische Begleitung während dieser Zeit. Insbesondere die Belastung der Gesichtslähmung hätte ich ohne diese Therapie wohl nicht so gut in den Griff bekommen.
Was auch noch ganz, ganz wichtig und unwahrscheinlich hilfreich war und noch ist, ist die neuropsychologische Therapie. Ich habe das große Glück im unmittelbaren Umfeld der neuropsychologischen Hochschulambulanz der hiesigen Uni zu arbeiten und bin daher sehr leicht in den Genuss dieser speziellen Behandlung gekommen. Schwerpunkt sind Schädel-Hirn-Trauma-Patienten, zu denen wir ja alle gehören. Es werden unzählige Tests und Messungen durchgeführt und dann auf die einzelnen Problemstellungen zugeschnittene Übungen durchgeführt. Bei mir war es u.a. ein sehr umfangreiches Gleichgewichtstraining, Fusionstraining für die Augen, Konzentrationsübungen etc.
Die Neuropsychologie hat wirklich maßgeblich dazu beigetragen, dass es mir heute so gut geht! Für alle, die sich dafür interessieren: diese Therapie ist eine Kassenleistung und bedarf keiner vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse. Ich weiß nicht, ob es woanders noch ähnliche Therpieangebote gibt, das kann man aber sicher übers Internet herausfinden.
Meine Erfahrung hat gezeigt, dass nur wenige Ärzte überhaupt wissen, was die Neuropsychologie überhaupt für eine Disziplin ist. Wie auch die wenigsten Ärzte mit der Komplexität der Beschwerden, die ein solcher Tumor und die OP mit sich bringt umgehen können. Die meisten meiner Ärtze sind nach wie vor damit überfordert. Es wird eigentlich nur an einzelnen Symptomen herum therapiert, weshalb ich zwischenzeitlich bis auf die Neurospychologie alle anderen Therapien beendet habe.
Ich muss leider auch sagen, dass die Nachsorge in Würzburg sehr zu wünschen übrig ließ. Mir wurden hier weder Therapievorschläge gemacht, noch auf die Folgeschäden der OP eingegangen. Im Prinzip hat man mir dort nur gesagt, was der Radiologe in seinem Befund des jeweils aktuellen MRT vermerkt hatte: kein Wachstum des verbliebenen Tumors bis heute. Das ist natürlich das Wichtigste und ich bin froh, dass es so ist!
Als ich mir dann aber bei der zweiten Nachsorge nach gut einem Jahr anhören musste, dass man sehr unzufrieden sei mit dem Heilungsverlauf - insbesondere im Hinblick auf die Fazialisparese - habe ich beschlossen, dass ich mir die 600 km hin- und zurück schenken kann und statt dessen künftig zu meinem ortsansässigen Neurologen gehe, der mich ohnehin schon seit Jahren kennt.
Ich bereue die OP nicht. Sie war notwendig und für mich alternativlos. Ich wollte keine Bestrahlung, das war klar und zudem war der Tumor mit Stadium T4 ohnehin zu groß für eine Bestrahlung. Die Neurochirugie in Würzburg war für mich zum damaligen Zeitpunkt die erste Wahl und ich habe sie nie bereut. Das Pflegepersonal und die Ärzte waren sehr nett, kompetent und hilfsbereit. Ich fühlte mich dort gut aufgehoben. Dass das bei der Nachsorge nun leider nicht mehr so war ist bedauerlich, da für mein Empfinden die eigentlichen Beschwerden erst nach der OP angefangen haben. Dafür hätte ich mir tatsächlich mehr Unterstützung und Tipps erhofft, statt alles mühsam selber heraus zu finden.
Ich habe mich verändert in den letzten knapp zwei Jahren. Ich versuche, bewusster zu leben, gnädig mit mir und meinen Ansprüchen an mich umzugehen. Ich beziehe mittlerweile eine Teilerwerbsminderungsrente und habe einen GdB 50. Ich genieße es, weniger arbeiten zu müssen und nehme mir möglichst viel Zeit für mich. Ich bin auf jeden Fall egoistischer geworden, aber auch weniger hektisch und getrieben und verständnisvoller für Probleme anderer. Ich kann auch mal fünfe gerade sein lassen. Das alles bedeutet Lebensqualität für mich und es ist in der Tat "Qualität". Das versuche ich mir, trotz der Einschränkungen, jeden Tag bewusst zu machen. Nicht immer ganz erfolgreich, aber immer öfter!
LG Tinka