Der Schwindel ist das schlimmste

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Nala
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Der Schwindel ist das schlimmste

Beitrag von Nala » 03.01.2024, 14:53

Hallo miteinander
Ich bin am 13.12.2023 rechts wegen einem Akustikum Neurinom 9 Stunden operiert worden. Der Tumor war 21x22x24 mm groß. Er konnte komplett entfernt werden.
Rechts habe ich momentan eine hochgradige Hörminderung. Die Fazialsparese hat sich mittlerweile zum Glück komplett zurück gebildet.
Taubheitsgefühle im Gesicht rechts sind noch vorhanden.
Meine Zungenspitze ist auch auch taub.
Aber am schlimmsten empfinde ich den Schwindel beim gehen. Er schränkt mein ganzes Leben ein. Ich kann nicht mehr spazieren gehen wie vorher, darf kein Auto fahren usw. Draußen gehen gehen nur sehr kurze Strecken mit Schwindel. Der wird aber schlimmer je mehr ich mich bewege.
Es heißt ich soll Geduld haben, aber im Moment scheint es alles so aussichtslos.
Mir wurde vor der OP nicht gesagt wie sehr das ganze mein ganzes Leben einschränken wird.
Ich möchte wieder spazieren gehen, unabhängig sein, arbeiten gehen können.
Ich frag mich ob das überhaupt wieder weg geht. Ich warte auf einen Termin dass ich zur Anschlussheilbehandlung gehen kann, in der Hoffnung dass das hilft.
Wie geht ihr mit diesem Schwindel um?
Geht ihr dann trotzdem spazieren (trotz der Unsicherheit) und versucht ihr trotzdem alles zu machen?
Harald87
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Re: Der Schwindel ist das schlimmste

Beitrag von Harald87 » 03.01.2024, 20:05

Hallo,

ich hatte keinen Schwindel nach OP, bei mir war der Gleichgewichtsnerv aber auch schon tot auf der betroffenen Seite.
Allgemein gewöhnt sich der Körper daran, dass die Info von einer Seite fehlt. Das übernimmt dann die gesunde Seite mit optischer Unterstützung. Das dauert aber. Das Gehirn muss umdenken und lernen die fehlende Seite zu ignorieren statt mit einzubeziehen. Bis dahin kommt es halt durcheinander, weil plötzlich ein eingespieltes System ein falsches Signal aufweist (weshalb ja der Schwindel entsteht, eine Seite vermeldet Bewegung, die andere "Stillstand"- der Körper glaubt sich merkwürdig zu drehen und versucht gegenzulenken).
Hier ist m.E. eine gewisse Balance gefordert zwischen Erholung und Heilung und derweil Anpassung an die fehlenden Infos. Die Reha wird sicherlich helfen, da du da unter Aufsicht das System zum Umdenken fordern kannst.

So wie ich keinen Schwindel hatte, da das System vorher bereits ungelernt hat ist es auch nach OP üblich das der Schwindel zeitnah sich verflüchtigt. Hier sollte man nicht gleich die Hoffnung verlieren weil es ein paar Tage dreht. Ist normal.
Ich habe nur Probleme im Dunkeln. Interessanterweise erst seit der OP...

Mit freundlichen Grüßen
Harald
snowdog
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Re: Der Schwindel ist das schlimmste

Beitrag von snowdog » 04.01.2024, 11:58

Liebe Nala,

drei Wochen nach einer neunstündigen Kopf-OP ist nicht nur mit Blick auf die aktuelle Symptomatik ein sehr kurzer Zeitraum. Dies bedeutet auch, dass ein aktuelles Beschwerdebild kurzfristigen Veränderungen unterliegt. In dieser frühen Heilungsphase laufen mehrere Prozesse gleichzeitig ab, mit ganz unterschiedlichen Auswirkungen, die wiederum einer sich verändernden Wahrnehmung unterliegen.
Im Vordergrund dürften aber immer die Verheilung der betroffenen Sinnesnerven stehen, d.h. Hör- und Gleichgewichtsnerv sowie der Fazialis auf der operierten Seite, die bei der Tumorentfernung gestresst, beschädigt oder gar zerstört werden können.

Durch einen Ausfall oder eine Funktionseinschränkung ist aber das "Gesamtsystem" betroffen, also auch die gesunde Seite - (Rest)Hören nur noch mit einem Ohr, oder in deinem Fall prominent die Neujustierung des Gleichgewichtempfindens (vestibulare Kompensation), veränderte Signalverarbeitung (Hyperakusis), Tinnitus - das alles wirkt als Anstrengung auf deinen Körper ein. Dieser reagiert auf die Veränderungen und braucht dafür eine ausgeprägte Erholungs- und Schonungsphase - die Bedingungen dafür muss jeder Betroffene selber schaffen. Ausreichend Schlaf, viel Trinken, körperliche Anstrengungen vermeiden, Ruhe und Schonung - die frühe Heilphase ist nicht aufschieb- oder nachholbar, gib deinem Körper diese notwendige Erholungsphase.

Eine AHB ist grundsätzlich zu empfehlen, da sie diese Phase verlängert und durch gezielte Regenierungsmaßnahmen ergänzt. Belastungssteuerung und Rückgewinnung von Funktionen sind dabei wichtige Aspekte, mit fortschreitender Gesundung und Gewöhnung reagiert der Körper bereits anders als kurz nach der OP. Die Phase der vestibularen Kompensation ist ein umgrenzter Zeitraum, nach einigen Wochen hat das Gehirn gelernt, die veränderte Signalgebung neu zu verarbeiten. Das bedeutet, dass die heftigsten Beschwerden abklingen - bestimmte Einschränkungen aber dauerhaft begleiten können. Das Gleichgewicht halten mit geschlossenen Augen z.B. bleibt eine Herausforderung, schnelle Kopfdrehungen wirken nach, unkontrollierte Bewegungen provozieren das Gefühl der Instabilität. Durch Gewöhnung und Training erreicht dieser Zustand mit der Zeit ein Normal, Achtsamkeit hilft auch hier.

Was deine Sorge mit Blick auf Spaziergänge und Unsicherheit, sportliche Aktivität (Radfahren, Wandern) anbetrifft, möchte ich Dir Mut zusprechen - das wird/bleibt alles möglich. Zum aktuellen Zeitpunkt (drei Wochen post OP) empfiehlt sich die "aktive Schonung", alles weitere hat Zeit. Bleibe zuversichtlich und optimistisch - ich wünsche Dir gute Fortschritte bei der Gesundung.

Beste Grüße
snowdog
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Re: Der Schwindel ist das schlimmste

Beitrag von Nala » 04.01.2024, 12:50

Hallo

Vielen Dank für Eure durchaus umfassenden Antworten.
Es hilft tatsächlich um wieder etwas mehr Mut und Zuversicht zu schöpfen.

3 Wochen post OP ist wirklich nicht sehr lange. Nur wenn man vorher sehr aktiv war kommt einem dass wie eine Ewigkeit vor. Aber es wird besser werden.

Dank euch wurde mir wieder bewusst was es doch für ein kurzer Zeitraum ist und welch Hochleistung der Körper momentan leistet.

Snowdog
Deine Aufklärung war detailliert sehr wertvoll für mich.
Danke dafür.
"Aktive Schonung" bedeutet dass ich mich bewegen soll und kann, aber nichts schweres heben soll z.b. ?
Bin mir nicht sicher was ich schon machen kann
oder soll.
Gestern konnte ich zb schon eine Runde ca.1,5 km gehen ohne mich bei jemandem festzuhalten.
Das ist für mich schon ein riesen Fortschritt. Nach halber Strecke verstärkte sich der Schwindel wieder etwas.

Man muss jeden Tag nehmen mit jedem klitzekleinen Fortschritt.
Irgendwann wird es merklich besser sein.
snowdog
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Re: Der Schwindel ist das schlimmste

Beitrag von snowdog » 04.01.2024, 15:13

Liebe Nala,

richtig, "aktive Schonung" bedeutet eben nicht passives Nichtstun - es geht hierbei um das bewusste Anwenden
der Erholungsmechanismen. Wer genau auf seinen Körper hört, findet schnell heraus, was ihm in dieser Phase gut bekommt.

Sehr wichtig ist auch das Registrieren der kleinen Fortschritte, in deinem Fall das Gelingen ausgedehnter Spaziergänge. Dies sind positive Rückkopplungen und motivationsfördernd - gerade "aktive" Menschen vermissen gewohnte Anstrengungen und neigen häufig dazu, frühe Belastungen als hilfreichen Contrapunkt zur erzwungenen Passivität zu setzen. Die Rückkehr zu alter Leistungsfähigkeit wird durch schnelles Training oder Belastung nicht beschleunigt - hierzu bleibt nach der Heilungs- und Schonphase ausreichend Gelegenheit. Auch hier gilt: auf den Körper hören und es langsam angehen lassen.

Sechs Wochen als Zeitraum nach der OP gibt eine gute Orientierung: was geht wieder, was noch nicht. Wie haben sich die Symptome und Beschwerden entwickelt, was hat sich verändert. Tatsächlich passiert in den ersten Wochen sehr viel, was rückblickend eingeordnet sein will.

Positiv denken, die neue Situation annehmen, Motivation suchen - eine Selbstreflektion ist herausfordernd und erfordert Demut. Diese wiederum hilft bei gekürzten Geduldsfäden... ;)

Beste Grüße
snowdog
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