Schädelbasischirurgie- Kongreßbericht (2)

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ANFux
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Schädelbasischirurgie- Kongreßbericht (2)

Beitrag von ANFux » 14.10.2010, 11:29

18. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schädelbasischirurgie DGSB,
1.-4.-10.2010 in Erfurt.


Bericht (2): Erkenntnisse, Erfahrungen, Versuch einer Wertung.

Ich wiederhole einen Satz aus dem Teil 1: „Es war ein überaus anstrengendes Programm, wenn man die Teilnahme ernst nahm und nicht einen abwechslungsreichen Ausflug daraus machen wollte.“
Ich habe es ernst genommen. Die Nachwehen spüre ich bis heute. Zumal meine Frau und ich uns fieberhafte Erkältungen mitgebracht hatten.

Herr Professor Lenarz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schädelbasischirurgie, hat im Grußwort zum 18. Kongreß geschrieben, dass die „Qualitätssicherung in der Schädelbasischirurgie und die interdisziplinäre Behandlung des Akustikusneurioms“ auf diesem Kongreß von besonderer Bedeutung sind. Wenn das kein Grund für eine Teilnahme gewesen sein sollte ...!


Worin liegen Sinn und Effekt einer Teilnahme an einem Kongreß?

Kurz gesagt geht es um Repräsentation, Kontaktpflege und Weiterbildung. Ich habe die IGAN bekannt bzw. weiter bekannt gemacht. Ich habe Kontakte zu Medizinern hergestellt bzw. bestehende vertieft. Ich habe Fachliches zum Akustikusneurinom dazugelernt bzw. vertieft.
Dabei ist die Kontaktanbahnung und –pflege nicht so zu sehen, wie das in Wirtschaft und Politik heute leider so üblich ist. Hier geht es darum, dass sich Partner kennenlernen und Vertrauen aufbauen, ohne „ökonomische Hintergedanken“. Und als Partner verstehe ich Ärzte und Selbsthilfevertreter. Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist dabei die fachliche Kompetenz beider Partner, d.h .also auch ständige Weiterbildung.


Überfordert denn das einen Nichtmediziner nicht?

Nein, wenn...., aber auch Ja, wenn..... Ich habe mir bewusst gemacht, wer ich bin, als was ich dort bin und welche Informationen ich gebrauchen kann, und zwar bei dem, was ich für AN-Betroffene und Ratsuchende tue.

Ich weiß ziemlich gut, was die ratsuchenden AN-Betroffenen bewegt, was sie oft fragen, was sie nicht verstanden haben, was sie unvollständig gehört haben, in was sie sich steigern, wovor sie Angst haben usw. Ich erkenne trotz des Fachchinesisch, das in der Medizin besonders ausgeprägt ist, wo die Vortragenden dazu etwas sagen oder zeigen.
Ich weiß auch, wo es heute noch unterschiedliche Auffassungen gibt, und merke, wenn dazu etwas Neues gesagt wird.
Dann stehen auf meinem Notizblock (ich war fast der einzige, der sich permanent Notizen machte!) solche kryptische Zeichen wie Ausrufe- und Fragezeichen, Kreise, Quadrate, Pfeile und Ärztenamen oder Namen von Forumsmitgliedern.


Welche konkreten neuen Erkenntnisse bzgl. AN gab es denn?

Ich habe überlegt, das hier zusammenfassend darzustellen, habe den Gedanken aber verworfen. Der Aufwand wäre zu groß, weil jeder Punkt in einen Kontext, auch in Bezug zu Fällen aus dem Forum, gestellt werden müsste.
Ich habe in einigen Punkten für mich Neues erfahren, in einigen Punkten wurde mein bisheriges Wissen bestätigt – was ja auch nicht unwichtig ist – und ich habe erfahren, wo nach wie vor differierende Auffassungen existieren. All das werde ich in der nächsten Zeit in meine Ausführungen in VNs und öffentlichen Forumsbeiträgen einfließen lassen,


104 Vorträge, 43 gehört – betraf denn das alles das AN?

Nein, natürlich nicht, obwohl auf dem Kongreß überraschend und angenehm viel sich konkret mit dem Akustikusneurinom beschäftigte. Das AN ist schließlich der am häufigsten vorkommende Tumor der hinteren Schädelbasis. Aber: Auch wenn Erkrankungen, Gefahren, Therapievarianten, Komplikationen und Ergebnisse aus andern Teilen der Schädelbasis vorgestellt werden, kann man etwas für die Problematik AN daraus lernen. Vieles von dem bei AN-Operationen erforderlichen “handwerklichen Können“, von der eingesetzten Technik und der angewandten Technologie sind auch auf die AN-Therapie übertragbar. Ich nenne nur die Stichwörter Endoskopie und minimalinvasiv. Nicht alles, was auf einem Kongreß gezeigt und diskutiert wurde, kann an dem Beispiel eines ANs demonstriert werden. Man muß das Wesentliche und Allgemeingültige erkennen und auf sein eigenes Problem übertragen.

Und schließlich operieren die uns bekannten AN-Spezialisten nicht nur ANs, sondern auch andere Hirnerkrankungen. Und da ist es eine ganz besondere Erfahrung zu sehen, wie die uns bekannten Ärzte sich auch auf diesem Terrain bewegen. Es war eine starke Erfahrung zu sehen, mit welcher Intensität, mit wieviel Verantwortungsbewusstsein, handwerklichem Geschick und auch Selbstkritik die besten HNO- und Neurochirurgen an die kompliziertesten Fälle herangehen. Das gesehen zu haben, fördert den Respekt und das Vertrauen.


Was ist das Besondere an der Region Schädelbasis?

Prof. Rosahl, der die Veranstaltung hervorragend vorbereitet und geleitet hat, hatte dazu einleitend etwas gesagt, was mir besonders gefallen hat – sinngemäß:
Die Schädelbasis ist in anatomischer und funktioneller Hinsicht eine sehr bedeutende Körperregion, weil an ihr und durch sie alle Nerven und Gefäße zum Gehirn und aus dem Gehirn verlaufen, weil sie die Seele des Menschen – Sehen und Hören - mit prägt und weil sie unser Aussehen, unser Gesicht, mit formt.
Man muß sich dazu vergegenwärtigen, dass die Schädelbasis die knöcherne Auflage des Gehirns von den Augen über den Rachenraum und die Ohren bis zum Beginn der Wirbelsäule ist.
Interdisziplinarität des ärztlichen Wirkens, von der Diagnose über die Therapie bis zur Nachsorge und Rehabilitation sind in dieser Region schon lange eine Voraussetzung für erfolgreiches Wirken, hat aber angesichts der medizinischen Fortschritte und auch angesichts der gestiegenen Erwartungen an die ärztlichen Leistungen heute mehr Bedeutung denn je.


Welche Rolle kommt den Zentren für Schädelbasischirurgie zu?

Interdisziplinäre Fallbesprechungen und auch ein interdisziplinäres therapeutisches Vorgehen sind für Erkrankungen im Bereich der Schädelbasis und damit auch für Akustikusneurinome bereits an vielen Standorten gegeben. Meist sind hier die Fachgebiete HNO- und Neurochirurgie sowie Radiodiagnostik und -therapie einbezogen. Inwieweit dieses Zusammenwirken ausgedehnt werden kann auch auf andere Fachgebiete wie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie Anatomie, Pathologie und Ophtalmologie, das hängt auch vom Vorhandensein dieser Disziplinen an verschiednen Standorten ab.
Die Interdisziplinäre Arbeit im bereich der Hirn- und speziell in der Schädelbasischirurgie nahm aus der Mitte Deutschlands ihren Lauf – Mainz, Würzburg, Fulda, Kassel, Hannover. Und sie hat berühmte Väter: Mann und Perneczky, Wigand, Helms und Roosen, Schwager und Behr, und natürlich die Linie Samii, Sepehrnia, Tatagiba, Matthies, Kaminsky. Nicht zu vergessen Fahlbusch und Draf. Die Aufzählung ist unvollständig!

In Deutschland gibt es heute ca. 40 erklärte Schädelbasiszentren. Besser müsste es heißen selbst erklärte, denn es gibt leider noch keine verbindlichen Richtlinien und Kriterien, die erfüllt sein müssen, um diesen Titel führen zu dürfen. Die Deutsche Gesellschaft für Schädelbasischirurgie hat dieses Problem erkannt und ist dabei, Anforderungen/Kriterien zu definieren. Gedacht ist an eine Zertifizierung durch die Gesellschaft, was ein wichtiger Schritt zur Qualitätssicherung wäre und sowohl Betroffenen als auch niedergelassen Ärzten eine wichtige Orientierungshilfe wäre.

Für AN-Betroffene erübrigt sich damit zwar nicht die Suche nach einem Kompetenzzentrum und dem Arzt des Vertrauens, aber es wird quasi eine Vorauswahl gegeben. Denn es wird und muß sogar auch unter den zertifizierten Zentren für SB-Chirurgie Spezialisierungen auf bestimmte Erkrankungen in bestimmten Bereichen der Schädelbasis geben. Dafür sind die dort auftretenden Erkrankungen zu vielfältig und zu kompliziert.

Prof. Lenarz hat mir zugesichert, gegen Ende des Jahres 2010 Informationen zum Stand der beabsichtigten Zertifizierung zu geben.
Ebenso bald spruchreif ist die Verabschiedung von Leitlinien zur Diagnostik, Entscheidungsfindung und Therapie des Akustikusneurinoms, an denen eine Konsensgruppe unter Leitung von Prof. Lenarz seit vier Jahren arbeitet. Auch das wird allen Betroffenen und Beteiligten eine wichtige Orientierungshilfe sein. Man darf gespannt sein auf diese neue Fassung, die die alte aus den vergangenen neunziger Jahren ersetzen wird. Die neue wird den neuen Gegebenheiten auf medizinischen Gebieten gerecht werden, selbst so heikle Themen wie Mindestfallzahlen bei Operationen nicht ausklammern und auch das Wirken von Selbbsthilfegruppierungen einschließen..


Welche Vorträge wären hervorzuheben?

Wenn aus vielen gute wenige besonders gute benannt werden sollen, gibt es immer Grenzfälle, auch Ungerechtigkeiten, allein schon wegen der individuellen Sicht des Einschätzenden. Ich mache es trotzdem.

Prof. Seifert/Frankfurt imponierte mit der Verschiedenartigkeit der Fälle, die er operierte.
Prof. Bettag/Trier beschrieb den transnasalen Zugang zur Schädelbasis (durch die Nase) und brach eine Lanze für das Endoskop.
Prof. Schröder/Greifswald zeigte ebenfalls beeindruckende Bilder vom Einsatz des Endoskops und demonstrierte kritische Situationen bei Operationen und deren Bewältigung.
Prof. Rosahl/Erfurt zeigte die Bedeutung der Versorgung der Hirnnerven für deren Leistungsfähigkeit nach der Operation.
Die Professoren Lenarz/Hannover, Fahlbusch/Hannover und Schwager/Fulda zeigten Wege zum Aufbau leistungsfähiger Zentren der Schädelbasischirurgie, allgemein und an Beispielen.
Prof. Tatagiba und Prof. Roser/beide Tübingen beeindruckten mit mehreren Vorträgen und auch Diskussionsbeiträgen. Einen besonderen Wert haben dabei für mich ihre Beiträge zur Qualifizierung „junger“ Ärzte und das Heranführen an das Niveau der „alten“. Dazu werde ich später auf der Homepage gesondert berichten.
Prof. Fernandez-Miranda/USA zeigte super-detailgenaue und dadurch fast schon zu schön wirkende 3-D-Abbildungen von der Schädelbasis.
Prof. Schmelzle/Hamburg zeigte Operation an der Schädelbasis incl. Gesichtswiederherstellungen bei transoralem Zugang (durch Mund und Rachen). Das war sicher nicht nur für mich als medizinischem Laien wohl einer der beeindruckendsten Vorträge. Zeigte er doch, was ärztliche Kunst auf höchstem Niveau kann. Das bleibt für den Laien unvorstellbar! Das aber ist auch ein Grund, warum es sich lohnt, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Ich nehme daraus zweierlei mit: Zum einen das Vertrauen in das Können der deutschen Ärzte, zum anderen Bescheidenheit; Bescheidenheit, die aus der Erkenntnis resultiert, wie gut es uns Akustikusneurinom-Betroffenen eigentlich geht – bei allem Respekt vor unseren Beschwerden vor und nach einer Therapie und auch bei Anerkennung unseres Wunsches, eine bestmögliche Lebensqualität zu erhalten.


Würde ich es wieder tun?

Ja. Aber bei einem solchen Mammutprogramm mit so vielen für uns wichtigen Themen und Beiträgen müßte die Last auf zwei Schultern verteilt werden. Wenn wir als Selbsthilfevereinigung ein respektierter Partner der Ärzte sein wollen, und für die AN-Ratsuchenden eine echte Hilfe, dann müssen wir uns weiterbilden. Ich gebe mal eine alte Weisheit aus der experimentellen Physik preis (ich bin ja auch Physiker): Ein dreibeiniger Stuhl kippelt nie. Patient – Arzt – IGAN = drei Beine eines Stuhles – wie wäre das ?

ANFux
1939, m. '94 transtemp. OP (15 mm) in Magdeburg/Prof. Freigang, einseitig taub, kein Tinnitus, keine Fazialispar. Rehakur in Bad Gögging. '96-'04 im Vorstand d. VAN in D, seitdem Beratungen zum AN. Ab '07 Moderator, ab '08 Homepage-Verantwortl.(bis 2012)
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Re: Schädelbasischirurgie- Kongreßbericht (2)

Beitrag von marmott » 18.10.2010, 21:34

Meine Güte AnFux, man kann gar nicht beschreiben, was du und deine Frau auf euch genommen habt!! Herzlichen Dank für das Einsetzen in unserer Sache. Ich hoffe, die Erkältung geht bald von dannen.

Ich werde den Bericht nochmals in aller Ruhe durchlesen, bis jetzt habe ich ihn nur "quergelesen" und war einfach nur von euch beeindruckt!!

DANKE!! :P

Marmott
w, 1971, 2007 AN r., 4.2 x 3 x 4cm, 2x OP in Bern in 2007, 1.8x1.9x1.1cm in 2009. Fazialisparese, taub r., Rezidiv 2.2x1.3x2.4cm am 25.2.10, OP am 14.9.2010 in Tübingen, Prof. Tatagiba. Gefühlsstörungen, Lähmungserscheinungen, Lärmempfindlich,glücklich:-)
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Re: Schädelbasischirurgie- Kongreßbericht (2)

Beitrag von Plumps » 23.10.2010, 20:33

Hallo Anfux,

ich schließe mich Marmott an;
bin total begeistert, wieviel Du (und deine Frau)aus 2 Tagen Kongress "mitgenommen " hast(habt).
Ich wäre nach 2 Stunden schon völlig erledigt gewesen.
Ich arbeite selber im Qualitätsmanagement, allerdings als "mickriger" Sachbearbeiter, in der ELektroindustrie.
(Ich vemesse unsere Erstmuster mit Laserscanner und fange an, externe Computertomographien auszuwerten)
Aus dem Grund habe ich Deinen Bericht gleich 2x gelesen und fange an, mich für meine "Krankheit" bzw. für die Schädelbasis zu begeistern.
Ich freue mich darauf, mehr von dem Kongress zu erfahren und lese weiterhin Deine tollen Beiträge.
Übrigens habe ich mich auf Mallorca gut erholt und fühle mich eigentlich wieder gesund.
Ob ich es auch bin, erfahre ich hoffentlich am Mittwoch im "Schädelbasiszentrum" Fulda.

Danke für die tollen Beiträge und dass Du Dich so einsetzt.
Das würde ich auch gern können.

Viele Grüße
Plumps
Fazialisparese li. nach OP AN(4mm) 1999;in Bochum, Prof. Hildmann
40% Schwerbeh.;
2010 sehr wahrsch. Rezidiv( 3mm); festgest. in Lüdenscheid nach Schwindel u.Sehstörungen;
weitere Behandlung u.halbj. MRT-Kontr. in Fulda; Prof.Behr; vorl.keine OP geplant
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Re: Schädelbasischirurgie- Kongreßbericht (2)

Beitrag von manucux » 27.10.2010, 17:26

Lieber Anfux,
..ich war länger nicht im Forum, möchte mich aber anschließen und von ganzem Herzen DANKE sagen, für Deine Arbeit, Bereitschaft etc. für die IGAN und letztendlich für uns ALLE!!!!

Richte bitte auch Deiner Frau diese Grüße des DANKES aus!!!

Es grüßt Dich respektvoll
ManuCUX=Manuela
aus der Marmeladenstadt :lol:
Manuela, w,53 Jahre, OP 17.06.09- in Münster (Prof.Sepehrnia) vollst.Entfernung des 19x16x14mm AN re., Tinnitus, Hörverlust auf 70 dB! 2. MRT am 24.11.10 ohne Befund! KEIN Resttumor - chronischer Kopfschmerz, Schwindel! 10.11.15 MRT ohne Rezidiv
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