schwere Geburt - "was fott es, es fott"... ein AN-Erfahrungsbericht

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Elisif
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schwere Geburt - "was fott es, es fott"... ein AN-Erfahrungsbericht

Beitrag von Elisif » 16.01.2021, 18:49

Was fott es, es fott... dieser Artikel des rheinischen Grundgesetztes gilt sowohl für mein AN, als leider auch für das betroffene Gehör.. Die Entscheidung für OP war eine schwere Geburt und fiel u.a. in der Hoffnung, das Restgehör erhalten zu können. Nun gut. Ich bin seit August 2020 hier registriert nach ED eines AN Anfang August. Das Forum war für mich sehr wertvoll hinsichtlich des weiteren Vorgehens, so will ich jetzt endlich erzählen, wie es mir ergangen ist.:
Ich hatte bereits vor ca. 14 Jahren Tinnitus, ich kann noch nicht einmal mehr sagen, auf welcher Seite, laut brummend, wie ein laufender Motor, das ging über ein Jahr und verschwand nach einem sonnigen Urlaub für 6 Wochen, schließlich noch ein paar Jahre später vollständig, nachdem ich begann, regelmäßig hohe Dosen Vitamin D zu nehmen (nach der Empfehlung für Kinder: 1000 IU/12 kg Körpergewicht und Tag, in meinem Fall also 5000 IU tgl.). Nur bei Erkältungen hatte ich seither - nunmehr seit 10 Jahren - noch wieder Tinnitus.
Vor gut 9 Jahren hatte ich erstmals Schwankschwindel, konnte nicht mehr gehen, ohne eventuelle Begleitpersonen anzurempeln, fühlte mich dizzy. Das ging über 6 Wochen und gab sich dann. Meine HÄ schrieb mich mit einer Psycho--Diagnose 2 Wochen krank. Ein MRT ohne Kontrast war zu der Zeit unauffällig (einzelne White Matter lesions). Lange Zeit war dann Ruhe mit Schwindel, in den letzten Jahren gab es allerdings wiederholte (2?3?) Episoden mit akutem Schwankschwindel derart, dass ich nachts aufstand und nicht ohne Halt an der Wand zum Bad gehen konnte, ich hatte regelrecht Schlagseite nach links. Morgens war es meist schon wieder besser, wenn ich mich konzentrierte, kam ich zurecht, fuhr sogar Fahrrad, durfte dabei aber keine Blick- oder Kopfbewegung nach links machen! Nach wenigen Tagen war der Spuk dann wieder vorbei, bei mangelnden anderen neurologischen Symptomen ignorierte ich es. (Nichts ätzender, als zu ärztlichen Kollegen zu gehen und mit der Auskunft, da sei nichts - sozusagen als Hypochonder - wieder weggeschickt zu werden!)
An die Unfähigkeit, im Dunkeln gerade aus zu gehen, hatte ich mich längst gewöhnt, schob es aufs Alter, ebenso die Tatsache, dass ich nun eigentlich immer meine Begleitpersonen bei Spaziergänen anrempelte, wenn ich Blick- oder Kopfwendebewegungen machte und dass ich nicht mitkriege, was auf der anderen Straßenseite los ist, weil ich so damit beschäftigt bin, meine Spur zu halten. Auf dem Fahrrad fiel mir auf, dass ich mich vor bestimmten Kofbewegungen hüten muss, vor allem, wenn ich keinen Platz für Ausgleichsbewegungen habe... Ich machte mir über alles keine sonderliche Gedanken, immerhin konnte ich noch Inlineskaten...
Seit etwa 2 Jahren forderte ich meine Telefongesprächspartner immer öfters auf, doch bitte mal ordentlich in die Muschel zu sprechen, ich könne sie ja gar nicht verstehen... Ich telefonierte immer mit links und meinte auch, es mit rechts nicht zu können.
Im Januar 20 hatte ich eine für mich ungewöhnlich heftige Erkältung (i.d.R. merke ich von sowas nicht viel), danach war das Gehör links entschieden schlechter. Im Verlauf wurde ein seröser Paukenerguss diagnostiziert und drainiert, nachdem der weg und das Ohr aus HNO-ärztlicher Sicht frei war, blieb das Gefühl, da sei was drin (in der englischen Lieteratur liest man von „fullness in the ear“ als typischem Symptom eines AN), mein HNO erzählte was von Hörsturz und Psyche, sonst sei da nichts, empfahl „aggressives Zuwarten“ und Triggerpunktakupunktur. Über viele Monate litt ich unter einer sehr störenden Hyperakusis, konnte kein Radio und keine Musik mehr hören, zeitweise bekam ich schon von einem ruhigen Gespräch Kopfschmerzen. Das Freizeichen des Telefons hörte ich links anfangs ca 1/2 Ton, im Verlauf eher 1 Ton tiefer, als rechts, ich hörte also sozusagen doppelt. Die Hyüerakusis wurde erst nach ca. 1/2 Jahr besser. Mir war bei den verschiedenen Hörtests aufgefallen, dass die Asistentinnen von den linksseitigen Ergebnissen sehr irritiert waren und meinten, das Gerät funktioniere nicht richtig, obwohl es rechts nie ein Problem gab. BEAR waren links nicht reproduzierbar. Ich suchte schließlich die inzwischen 4. HNO-Praxis auf und bestand auf Bildgebung mit dem Ergebnis eines AN Grad 2 (1,4x0,8x0,7cm).
Ich belas mich ausführlich in diesem Forum und holte mir die Meinung verschiedener Neurochirurgen und Strahleninstitute ein (teile persönlich, teils durch Zusenden meiner Unterlagen). Nichtuniversitäre Neurochirurgen wollten operieren, die Uni Essen und die Charite empfahlen „Wait and scan“ , ggf. Gamma- bzw. Cyberknife, Tübingen meinte auch Wait and Scan und unter Abwägung meiner geschilderten Symptome vor allem hinsichtlich des Schwankschwindels tendentiell eher OP, als Bestrahlung. Die konsultierten Strahleninstitute wollten alle den Hammer nutzen, den sie hatten. Meine HNO-Ärztin drängte auf baldige OP in der Hoffnung, das vorhandene Restgehör (ca. 50%) zu retten. Ich selbst hatte angesichts des klinischen Verlaufs der letzten 2 Jahre auch wenig Sympathie für Wait and Scan, und so landete ich schließlich bei Prof. Ebner in Essen, der mir von allen gesehenen Neurochirurgen am sympathischsten war und der mich Anfang 11/20 operierte. Am Nachmittag nach der morgentlichen OP gab es „wandernde Bilder“, und insges. 3x Erbrechen, am nächsen Tag nicht mehr. Der Fazialis war jederzeit unbeeinträchtigt. Das Restgehör links war zunächst unverändert, aber am 3. postop. Tag hat es sich komplett verabschiedet. Ich hatte am Morgen den vermutlich großen Fehler begangen, auf der Toilette heftig zu pressen, danach gab es Liquorfluss. Ich dachte daneben ursächlich auch an akustische Überlastung durch zuviel Trubel im Krankenzimmer und zu viel Telefonate? Der (im Labor als solcher bestätigte) Liquiorfluss war gering und sistierte spontan nach wenigen Tagen, das Gehör blieb weg. Ansonsten hatte ich postoperativ zunächst sehr wenig Probleme, Schmerzmittel konnte ich nach wenigen Tagen ganz absetzten, von Kopfschmerzen i.e.S. kann ich gar nicht sprechen (um keine Koffeinentzugskopfschmerzen zu bekommen, hatte ich den Koffeinkonsum präoperativ schon lange stark reduziert und schließlich komplett eingestellt.). Kopfschmerzen traten erst nach gut einer Woche auf, da war ich schon entlassen, am 9.Tag dann auch subfebrile Temperaturen und reißende Nackenschmerzen. Es hat etwas gedauert, bis ich kapierte, das dies nichts mit der OP zu tun hat, sondern ein mir bekanntes Phänomen einer rezidivierenden aseptischen Meningitis im Kontext mit einem Herpesinfekt ist, die ich in der Vergangenheit bereits wiederholt in Stresssituationen bekam, die Symtomatik gab sich dann zügig mit Einnhme therapeutischer Dosen eines Virustatikums.
Es folgte eine Reha in der Marcusklinik Bad Driburg mit einem anspruchsvollen Balancetrainingsprogramm. Dort fiel mit anfangs (gut 3 Wo postop.) auf, dass bei Spaziergängen der Straßenrand/ das Gebüsch rechts und links an mir vorbeirauschte, als würde ich mit dem ICE da durch fahren. Ich musste mich sehr auf den Weg konzentrieren und konnte kaum zur Seite sehen, war dabei sehr schnell erschöpft. Am Ende der Reha war ich zu ausgedehnten Wanderungen in der Lage und konnte dann auch etwas von der Umgebung mitbekommen.
Nach der Entlassung aus der Reha war der Haushalt noch sehr anstrengend, ich setz(t)e die Gleichgewichtsübungen fleißig fort, mach(t)e täglich lange Spaziergänge, bei denen ich mit häufigen Blick- und Kopfwendebewegungen die Balance herausforder(t)e und fuhr auch bald wieder Fahrrad. Dabei musste ich anfangs sehr vorsichtig mit Kopfbewegungen sein, die mich aus der Balance bringen können, auch das habe ich auf ruhigen Straßen mit viel Platz rechts und links immer wieder geübt. Inzwischen 10 Wochen postoperativ ist der Haushalt kaum mehr anstrengender, als vor der OP, alles was mit Suchbewegungen der Augen einhergeht (aufräumen, Papiere sortieren, etwas suchen, putzen, im Garten jäten..) war mir schon seit Jahren schnell zu anstrengend und ist auch jetzt vielleicht noch etwas anstrengender, als zuvor, ansonsten fühle ich mich schon weitgehend wie beim Status quo ante. Ich kann auch wieder die gewohnte Strecke joggen. Nur das betroffene Gehör ist weg. Manchmal fühlt sich das Ohr noch so an, als sei da was drin, als müsse ich es frei schütteln; wenn es still ist und ich ruhig sitze, fühlt es sich mitunter an, als fehle nichts. Ich habe keinerlei Tinnitus im betroffenen Ohr, höre einfach rein gar nichts. (Tinnitus hatte ich nur in den ersten postoperativen Tagen etwas, wie ein entferntes Läuten war das. ). Ich bin froh zu wissen, dass das AN komplett entfernt werden konnte und gehe nun davon aus, dass ich nicht mit weiteren Schwankschwindelattacken rechnen muss.
Eigenartigerweise habe ich derzeit auch keine Schmerzen mehr in der BWS, wie in den letzten Jahren und vor allem Monaten vor der OP zunehmend (ohne Hinweis auf Osteoporose). Auch in den ersten 2 postoperativen Wochen waren die teils sehr ausgeprägt, aber nun sind sie weg, obwohl die Übungen, die ich dagegen regelmäßig machte, im Kontext mit der OP ja über mehrere Wochen nicht gemacht wurden. Ich las an irgendeiner Stelle mal was von Entzündungsmediatoren, die von einem AN ausgehen könnten, finde es aber nicht wieder. Weiß jemand etwas darüber? Bei mir sind seit > 10 Jahren Tarlov´sche Zysten (Perineuralzysten im Steiß) und eine Arachnoiditis bekannt, derzeit aber mit wenig Beschwerden.
*1958; ED 8/20 nach Hörsturz AN li intra- und extrameatal 1,4x0,8x0,7 cm. Op 11/20 Prof. Ebner/Essen, Restgehör zunächst unverändert, am 3. postop. Tag jedoch Absturz, jetzt li taub. Fazialis jederzeit unbeeinträchtigt.
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Re: schwere Geburt - "was fott es, es fott"... ein AN-Erfahrungsbericht

Beitrag von snowdog » 17.01.2021, 14:46

Liebe Elisif, liebe Forenleser,

ein weiterer wertvoller Erfahrungsbericht, der in aller Ausführlichkeit
den Prozess einer AN-Erkrankung beleuchtet und Symptome und
Auffälligkeiten der verschiedenen Phasen beschreibt.

Wer sich intensiv im Forum bewegt, findet hier sehr viele Anhaltspunkte
zur tieferen Recherche. Dabei bitte nicht entmutigen lassen, als
Einstiegslektüre wird es kaum möglich sein, ohne Fragezeichen bis zum
Ende durchzukommen. Unter Zuhilfenahme der Suchfunktion wird
daraus aber im positivsten Sinne ein Leitfaden, die Komplexität des
Themas besser zu verstehen.

Für das Forum auch deshalb wichtig, weil man durchaus häufiger
bei solchen Berichten landet – und durch wiederholtes Nachlesen
Zusammenhänge begreift.

Das Resultat zehn Wochen nach der AN-OP klingt erfreulich.
Wiedererlangte Alltagsgewohnheiten (Haushaltsarbeiten, Joggen,
Radfahren, ausgedehnte Spaziergänge) im frühen Stadium bewältigen
zu können, darf als hervorragendes Ergebnis gelten.

Mir fällt in der Rückbetrachtung auf, dass mein eigener Fokus auf das
erhaltene/verlorene Hörvermögen kurz nach der OP die vielleicht
prominenteste Bedeutung hatte, das eigentliche „Hören“ aber nur eine
Rolle neben anderen einnimmt. Tinnitus, Schwindel und Taubheit geben
im Zusammenspiel den neuen Status Quo und die veränderte Realität,
die es anzunehmen gilt. Wichtig zu wissen, dass Veränderungen
im weiteren Heilprozess jederzeit möglich sind.

Das Stichwort Entzündungsmediator im Zusammenhang mit einem
Akustikusneurinom führt über die Forensuche leider zu keinen
Ergebnissen. Ich habe allerdings eine einschneidende postoperative
Erfahrung nach einem kieferchirurgischen Eingriff machen dürfen -
ein offenbar über Jahre als Ursache vieler Nebenwirkungen haftbar
zu machender Problemzahn wurde durch ein Implantat vollständig
ersetzt. Die Folge: weniger Migräneanfälle, weniger Hals- und
Nackenverspannungen, Milderung der Tinnitussymptome, Verbesserung
des Allgemeinbefindens. Sämtliche Symptome waren im kontinuierlichen
Fokus AN und waren danach weit weniger auffällig...

Alles Gute für den weiteren Heilungsverlauf.

Beste Grüße
snowdog (Moderator seit 4.12) Jg.62,m,verh.,2 Söhne,
AN re.5x8 mm,n-c. suboccipital AN-OP in Offenbach 4.08,
postoperativ Liquorfistel,keine Fazialisparese, einseitig taub,chron.Kopfschmerzen,jährl.Kontroll-MRT f.d.ersten 5 J.
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Re: schwere Geburt - "was fott es, es fott"... ein AN-Erfahrungsbericht

Beitrag von Elisif » 17.01.2021, 15:45

Lieber Snowdog,
vielen Dank für Deine immer sehr eingehenden und wertschätzenden Anmerkungen zu verschiedenen Beiträgen, nun auch zu meinem! Interessant auch der Bericht über die Auswirkung eines (entfernten) Zahnherdes!
Viele Grüße
Elisif
*1958; ED 8/20 nach Hörsturz AN li intra- und extrameatal 1,4x0,8x0,7 cm. Op 11/20 Prof. Ebner/Essen, Restgehör zunächst unverändert, am 3. postop. Tag jedoch Absturz, jetzt li taub. Fazialis jederzeit unbeeinträchtigt.
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