Einohrhase - un nu?

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Amsel
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Einohrhase - un nu?

Beitrag von Amsel » 27.08.2014, 13:43

Hallo liebe AN-Betroffen und alle anderen Leser,

(ich habe ganz unten markiert, worum es mir geht, um das Lesen abzukürzen)

ich habe eine ganze Weile überlegt, ob ich meine Gedanken hier öffentlich mache. Da es aber einen guten Austausch im Forum gibt, habe ich mich jetzt doch dazu entschlossen.

Mein Anliegen schreibe ich im Unterforum "Angst", da es um Gefühle geht, wenn auch nicht direkt um Angst.

Seit gut drei Jahren bin ich auf dem rechten Ohr zu 100 Prozent taub. Ich erinnere mich nicht mehr gut daran, wie es mir ging, als ich realisiert habe, dass es so bleiben wird, dass es Wahrheit ist, ... In dieser Zeit habe ich viel im Internet gelesen, "das Ohr" hat meine komplette Aufmerksamkeit gehabt, meine ganze Wahrnehmung, im Alltagsleben auch im Austausch mit meiner direkten Umgebung (Partner).

Der Tumor als solches war für mich kaum Thema, ich habe kaum an diesen kleinen Fetzen Gewebe gedacht. Es war relativ schnell klar, dass ich mich operieren lasse, wo, von wem, ... und dass mein Mann mich dabei unterstützen und begleiten würde, so gut es nur ginge. So war es dann auch.

Ich hatte großes Glück, da der Tumor "auf weite Strecke mit dem Fazialisnerv verhaftet" war. Trotzdem hatte ich auch nach der OP keine Fazialisparese.
Meine Symptome waren ausschließlich Taubheit, Tinnitus und Oszillopsien ("Wackelbilder" vor allem bei Bewegung), teils mit Gleichgewichtsstörungen.

Mit den Symptomen komme ich mal mehr mal weniger gut zurecht. Am besten noch mit dem Tinnitus, der nur wenig in mein Bewusstsein vordringt.
Die Oszillopsien stören schon mehr.

Was mir zur Zeit zu schaffen macht, ist die einseitige Taubheit. Ja, ich bin dankbar, dass ich ein weitestgehend gesundes Ohr habe. Ich kann mich unterhalten, ich kann Musik hören, ... In einem Schwerhörigen-Forum habe ich auch gelesen, es sei ein "Luxusproblem", mir nur einem Ohr zu hören. Und ich hatte Kontakt zu einer netten Frau aus dem AN-Forum, die aufgrund einer Krankheit ein AN auf beiden Seiten hat, und inzwischen ertaubt ist. (es kommen bei dieser Krankheit noch viele andere schlimme Dinge dazu) [Liebe M., ich denke an dich!]
Mir ist bewusst, dass es mir diesbezüglich gut geht.

Der Kern meines Beitrags ist:
Ich bin manchmal sehr verzweifelt über den Verlust des Hörens auf einem Ohr. Es geht hauptsächlich um das schlechte Verstehen in vielen Situationen (kleinere Probleme sind das veränderte Musikhören, der seltsame Klang meiner eigenen Stimme, u.ä.).
(Es zieht auch berufliche Beeinträchtigen nach sich, was aber nicht das zentrale Problem ist)

Wie geht es Euch, liebe ähnlich/oder gleich Betroffene damit?
(Ihr dürft mir gern den Kopf waschen.)

Alles Gute für alle AN-Betroffenen, und alle Leser!

Herzliche Grüße

Amsel
*1962/w. Diagn. 05/2011: AN rechts, 13mm x 8mm x 7mm, intra- und extrameatale Anteile, rechts taub und Tinnitus, OP: 09/2011, Uni-KH Erlangen - Otochirurgie (Prof. Iro/Prof. Zenk), translabyrinth. Zugang
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Re: Einohrhase - un nu?

Beitrag von Chrigu » 27.08.2014, 14:25

Hallo Amsel,

Ich kann Dich sehr gut verstehen und darum würde ich Dir niemals wegen Deines Beitrages "den Kopf waschen". :)

Ich bin auch wegen des AN auf dem einen (linken) Ohr vollständig taub. Deshalb kenne ich die Problematik mit dem schlechten Verstehen, dem seltsamen Klang der eigenen Stimme, etc...

Bei mir kommt nun seit ca. 10 Monaten auf dem vermeintlich gesunden (rechten) Ohr noch eine andere Erkrankung dazu (atypischer Morbus Meniere) durch die ich auf diesem Ohr unterdessen sehr schlecht höre. Damit hat sich die Situation für mich nochmals deutlich verschlechtert.

Obwohl ich nun rechts ein erstklassiges Hörgerät habe (für "Insider": ein ReSound LiNX 9), bin ich im Alltag stark eingeschränkt. Ich kann keinerlei Musik mehr hören da durch die Verzerrungen jegliche Harmonie in der Musik zerstört ist. Melodien klingen zerrissen, unharmonisch und sind absolut unkenntlich für mich. Sogar Musikstücke die ich seit Jahrzehnten kenne (z.B. "die Zauberflöte" von W.A. Mozart) vermag ich nicht mehr zu erkennen, geschweige denn mir anzuhören.
Dazu kommen die Probleme Gespräche in lauten Umgebungen zu folgen oder überhaupt zu verstehen, die Probleme beim Telefonieren, etc...

In der Nacht, ohne Hörgerät, bin ich unterdessen deswegen beinahe taub und meine geliebte Frau muss dann schon sehr laut mit mir sprechen, damit ich sie einigermassen verstehen kann.

Der Tinnitus ist auch mein ständiger Begleiter (unterdessen auf beiden Ohren - dem tauben linken Ohr und dem rechten Ohr mit dem Morbus Meniere) aber den kann ich zum Glück ganz gut ignorieren.

Wie gehe ich damit um?
Nun, es gibt gute Tage und es gibt schlechte Tage.

Ich bin dankbar für mein Hörgerät und es ist beeindruckend was damit erreicht werden kann aber ich vermisse die Musik, die während meinem ganzen Leben ein ständiger Begleiter war. Bei der Arbeit arrangiere ich mich so gut es halt geht und bisher geht es (noch?) ganz gut.

Ich habe Angst davor, dass sich die Situation mit meinem rechten Ohr weiter verschlechtern könnte und ich dann tatsächlich taub sein würde. Da sich das restliche Hörvermögen auf meinem rechten Ohr ständig verändert (von extrem schlecht bis schlecht - gut ist es nie mehr) gibt es dann halt auch Tage an denen ich "nicht gut drauf bin" und dann wieder Tage an denen ich froh sein kann und glücklich bin. Es ist für mein Umfeld und natürlich insbesondere für meine Frau, sehr schwer so.

Ich mache mir bewusst, dass es vielen Menschen noch sehr viel schlechter geht als mir und diese Erkenntnis hilft mir tatsächlich. Ich glaube im grossen und ganzen habe ich noch immer Glück gehabt. Meine Frau ist eine sehr, sehr grosse Hilfe und ich liebe sie über alles. Ich weiss nicht was ohne sie gewesen wäre.

Ich denke das Wichtigste ist ein Partner den man liebt und von dem man geliebt wird, der zu einem steht, der einem hilft im Alltag, der da ist wenn es einem schlecht geht und sich freut wenn es einem gut geht. Das ist, für mich, wichtiger als alles andere. Ich bin überglücklich, dass ich so eine Frau an meiner Seite habe.

Ansonsten... was bleibt noch zu sagen? Ich nehme jeden Tag wie er kommt und weiss heute: Lebensqualität misst sich nicht am Kontostand bei der Bank, an der Grösse des eigenen Hauses und ja, auch nicht daran ob man zwei gute Ohren hat oder gar keines.

Lebensqualität und das Glück findet man in einem geliebten Menschen und deshalb habe ich mein Glück in diesem Leben gefunden.

Alles andere ist nicht wichtig.

Ich wünsche Dir, Amsel, und allen anderen Lesern, dass Ihr das Glück in Eurem Leben auch finden mögt. Alles Gute und guten Mut,

Chrigu
1968, m. 06/13 AKN links 27mm kräftige Eindellung des Stammhirns. 2x OP im 2013 in Bern bei Dr. Lukes, 01/15 Rezidiv >33mm, OP 06/15 bei Dr. Lukes, 09/16 Rezidiv => Strahlentherapie
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Re: Einohrhase - un nu?

Beitrag von Amsel » 22.09.2014, 17:47

Lieber Chrigu,

hab ganz herzlichen Dank für Deine Zeilen. :)
Du hattest nicht die Absicht, mir "den Kopf zu waschen", und hast es doch indirekt und ungewollt getan.

Ich sitze da, lese Deinen Beitrag und merke, wie mir das Herz eng wird. Es ist schwer, Worte zu finden.

"Ich nehme jeden Tag wie er kommt und weiss heute: Lebensqualität misst sich nicht am Kontostand bei der Bank, an der Grösse des eigenen Hauses und ja, auch nicht daran ob man zwei gute Ohren hat oder gar keines."
Du hast so recht.

Und was Du über Partnerschaft schreibst, kann ich bestätigen. "Lebensqualität und das Glück findet man in einem geliebten Menschen und deshalb habe ich mein Glück in diesem Leben gefunden." Das hast Du schön geschrieben, und ich freue mich für Dich, dass Du dieses Glück gefunden hast.
(ich bin dankbar, dass es mir diesbezüglich ebenso geht)

Lieber Chrigu, danke nochmals für Deinen wertvollen Beitrag, und alles, alles Gute für viele helle Tage mit Deiner lieben Frau :)

Amsel
*1962/w. Diagn. 05/2011: AN rechts, 13mm x 8mm x 7mm, intra- und extrameatale Anteile, rechts taub und Tinnitus, OP: 09/2011, Uni-KH Erlangen - Otochirurgie (Prof. Iro/Prof. Zenk), translabyrinth. Zugang
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