Ausführlicher Erfahrungsbericht - 1,5 Jahre nach OP

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Cynical
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Ausführlicher Erfahrungsbericht - 1,5 Jahre nach OP

Beitrag von Cynical » 06.01.2012, 21:36

Ich habe sehr lange damit gewartet das zu schreiben, hauptsächlich weil ich zur Zeit versuche das ganze Thema so weit wie möglich zu verdrängen. Ich denke jedoch, dass ich zum einen damit Trost finden kann und zum anderen zumindest aus der physiologischen Sicht Euch Mut machen kann, eine Operation gut zu überstehen.

Ich muss vorweg erwähnen, dass ich schon vor der Feststellung des AN unter hypochondrischen Ausbrüchen und Angststörungen im mittleren milden Maß gelitten habe. Leider wurde dies nun nach der Operation wieder bestärkt - aber zunächst das Sachliche:

Ich bin 34 Jahre alt, männlich und bei mir wurde im April 2010 durch ein MRT ein ca. 1cm x 2,5cm breites AN festgestellt (lt. Diagnose Vestibularisschwannom links WHO I T2). Auslöser für den Wunsch nach einer Untersuchung für mich waren 2 Hörstürze mit Hochfrequentem Tinnitus im Vorjahr, sowie Sekundenschwindelanfälle, welche jedoch auch psychologisch bedingt sein konnten. Ich wollte durch meinen Hausarzt einfach abklären lassen, ob ich physisch gesund bin und ein psychologisches Problem vorlag. Ich bitte hier dringend meine Mithypochonder zu beachten - Hörsturz bedeutet nicht zwangsläufig AN ;) !!!

Das Ergebnis des MRTs wurde mir sehr schlecht durch die Radiologin erklärt. Im Prinzip blieben nur die Worte "Raumforderung" und "gutartig" kleben, man könne es entfernen. Zusätzlich stand im Bericht etwas von winzigen Demyelinisierungsherden, worauf Sie nicht einging und mir das natürlich später höllisch Angst machte. Zum Glück erklärte man mir dann später, dass das nichts zu heissen hätte - nur wenn diese sich verändern würden - in den späteren MRTs wurde auch nie wieder darauf eingegangen - so denke ich war dies nicht weiter bedenklich - trotzdem danke Radiologin :(. Eine erneute Erklärung durch meinen Internisten, worum es sich bei dem AN handele (Das böse Wort mit "T" am Anfang) lies mich erstmal im Schockzustand. Die Entscheidung zur OP im Gegensatz zu den beiden Alternativen: Kontrolle oder Bestrahlung war für mich sehr schnell gefallen, auch evtl. aufgrunddessen, dass ich zunächst nicht so genau die möglichen OP Folgen kannte. Die beiden örtlich nahen Optionen war ein Chirurg in Tübingen (soweit die Anfrage durch meinen Vater allerdings ergab, dass dieser wohl keine gesetzlich Versicherten zur Zeit annehme) und Prof. Dr. Hopf im Klinikum Stuttgart, auf den dann auch meine Wahl fiel und ich bereute dies nicht. (Die OP wurde von Anfang bis Ende durch den Professor durchgeführt was mich beruhigte)

Der OP Termin kam recht schnell im April und für mich war es der erste Krankenhausaufenthalt meines Lebens, da ich eigentlich nie ernsthaft krank war. Die Vorbereitungen habe ich relativ gelassen ertragen seltsamerweise (Voruntersuchungen, OP und Anästhesie Erklärung) trotz meiner Tendenz zur Angst - ich denke, wenn es dann so Ernst wird blendet man das aus. Auch die Nacht vor der OP benötigte ich keine Beruhigungstablette. Zur OP wurde ich morgens abgeholt und nahm eine Tablette - das Gefühl war eigentlich als ob es nicht wirken würde, aber man hat einen Zustand der Gelassenheit. Man wird dann warm zugedeckt und bekommt die Anästasie ;) Die Operation wurde im Liegen durchgeführt und ich musste auch keine Haare lassen (wobei mir das relativ egal war zu der Zeit). Laut Text wurde folgendes durchgeführt:

Endoskopischassistierte mikrochirurgische Tumorresektion über eine links retromastoidale, osteoplastische Kraniotomie unter elektrophysiologischem Monitoring.

Vereinfacht erklärt - mir wurde ein kleiner Eingang in den Schädel gebohrt und am Gehirn vorbei mit kleinen Geräten der Tumor entfernt ;) Zudem wurde der Facialisnerv, welcher für die Steuerung der Gesichtsmotorik verantwortlich ist überwacht, so dass ich nach der OP so wenig wie möglich eine Beeinträchtigung habe.

Die OP dauerte ca. 6 Stunden und ich wachte in der Intensivstation auf - keine Sorge nach einer solchen OP wird man immer für 1 Tag dahin verlegt. Ich war eigentlich gut gelaunt (auch aufgrund der Medikation) der Mund war trocken und ich hatte einen Katheter, welcher mich eigentlich am meisten gestört hat zu dem Zeitpunkt.

Mir wurde gesagt, dass die OP komplikationslos gewesen sei und der Tumor gut und restlos entfernbar war (er wäre hart gewesen) Hierzu später mehr - bei der 2. Nachuntersuchung wurde ich verunsichert.

Nach 1 Tag wurde ich dann in ein Zimmer verlegt, die Folgen der OP waren hauptsächlich, dass ich weniger bis kaum mehr was hörte (war mir eingentlich zunächst egal) und der hochfrequente Tinnitus (störte mich mehr), sowie Kopfschmerzen im etwas höheren Maß durch den Verlust der Gehirnflüssigkeit während der OP - Das legte sich jedoch schnell und war mit milden Schmerzmittel erträglich. Der Facialis Nerv war so gut wie garnicht "gestört" worden und ich hatte nur ganz geringe Andeutungen im Gesicht. Mich störte mehr dass ich (und das wusste ich zunächst nicht, ich ging von einer Butterfly Nadel aus ;) ) einen kleinen Schlauch in Hals stecken hatte aufgrund der Infusion, welche kontinuerlich dran blieb für die Medikation. Beim Essen war mir aufgrund der Anästasie zunächst die ersten Tage schlecht und ich musste ein wenig spucken. Eine Therapeutin kam trotzdem vorbei und zeigte mir Trainingsübungen für das Gesicht, welche ich durchführte, aber kaum nötig hatte. Die Nächte waren nervig, da man oft durch die Kontrolle geweckt wurde und mein armer Zimmernachbar (welchem es wesentlich schlechter als mir ging - aufgrund starker Kopfschmerzen) stöhnte auch durchweg.

Nach 10 Tagen wurde ich dann nach Hause entlassen.

Der Therapiebefund:

Nach den üblichen präoperativen Vorbereitungen konnte o.g. Operation am 16.04.2010 komplikationslos durchgeführt werden...In einem Kontroll-CCT am 19.04.2010 zeigt sich ein regelrechter, postoperativer Zustand ohne Hinweis auf postoperative Komplikation. Im weiteren Verlauf zeigte sich eine diskrete Facialisparese links, jedoch mit komplettem Liedschluss... Es wurde ein Stennert-Schema bei vorliegender diskreter Facialisparese verabreicht. Hierunter blieb diese stabil.

Mir ging es seelisch und physisch ganz gut nur der Hörverlust nach der OP (Vor der OP gefühlte 70% - danach gefühlte 10%) und der Tinnitus machte mir zu schaffen, ich war jedoch natürlich sehr froh das alles hinter mich gebracht zu haben. Zuhause verbrachte ich ca. noch 2 Wochen mit Hilfe im Bett wollte jedoch auch schon wieder arbeiten (was im Nachhinein glaube ich doch zu früh war).

Aufgrund der OP wurde mir nahegelegt 3 Monate nicht Autozufahren, auch wenn einer der Ärzte meinte, da ich ja nicht am Gehirn operiert wurde, läge keine Gefahr eines "Krampfes" vor, weswegen ja solche postoperativen Empfehlungen gegeben werden. Ich hielt mich jedoch daran.

Einige Zeit später blieb von der Parese nichts übrig, das Gehör wurde jedoch kaum besser und der Tinnitus blieb - meist jedoch erträglich. Jedoch bekam ich nach einiger Zeit (ca. 4 Monate) die sog. Krokodilstränen, welche mich sehr beunruhigten, da ich keine Erklärung dazu hatte. In der Zeit stieg auch meine Angst vor der Nachuntersuchung stark an. Beim ersten Kontroll MRT (nach ca. 6 Monaten machte ich dies) wurde mir gesagt, dass alles gut aussehe. Die Krokodilstränen wurden mir nicht weiter erklärt, auch ob das Gehör sich verbessern würde und der Tinnitus schwächer würde - wurde mir nur gesagt, dass alles möglich ist und aufgrund der Komplexität der 3 Nerven in dem Bereich eben solche Dinge auftreten können.

Ich verbrachte dann ein Jahr damit den Gehörverlust und Tinnitus seelisch zu verkraften und mich auch mit den Krokodilstränen abzufinden. Physisch gesehen war es ja eigentlich ein gutes Ergebnis. Der Tinnitus kam und ging - ob aufgrund des seelischen Drucks oder wegen Dingen wie Kaffee oder Alkohol weiss ich bis heute nicht, weswegen ich heute noch damit kämpfe - vor allem wegen der 2. Nachuntersuchung:

1 Jahr nach der letzten MRT Kontrolle ging ich zur 2. - auch wieder extrem angespannt und in Angst man könne etwas finden (s. Radiologin am Anfang). Der Arzt in der Sprechstunde war leider nicht der Letzte des Jahres zuvor, um den ich gebeten hatte und dieser wusste auch nichts weiter von der OP selbst. Er verglich das Vorjahres MRT mit dem Jetzigen und sagte es wäre unverändert, also in Ordnung. Dann erwähnte er allerdings dass Kontrastmittelaufnahme (wie wohl auch im letzten MRT - im Vergleich) da wäre - er könne mir nicht sagen ob Resttumor oder Narbengewebe !? Er meinte auch etwa in der Art, dass an der Stelle das nicht entfernt werden würde was er mir am MRT Bild zeigte ?! (sehr unklar) Die Erklärung war extrem schlecht und Ich bin nun natürlich verunsichert, da ich damals das so verstand, dass der Tumor restlos entfernt wurde. Am liebsten hätte ich ja mit dem Arzt gesprochen welcher bei der OP dabei war. Ich werde es mir durch meinen Arzt und zur Not nochmal im Krankenhaus erklären lassen, da einfach Sorgen noch offen sind.

Fazit:

- positiv ist das OP Resultat - ich habe ausser dem Gehörverlust, dem Tinnitus und den Krokodilstränen nichts - das Gehör war ja vor der OP schon schlecht und der Tinnitus war auch schon vorhanden.

- negativ: meine Krankheitsängste wurden verstärkt sowohl noch bzgl. des AN als auch weiterer "Erkrankungen", was aber mehr an mir und den z.T. schlechten Erklärungen ein paar der Ärzten lag (während der OP war die ärztliche Beratung sehr gut). Das erschwerte Hören in Kneipen / Bereichen wo es Laut ist, sowie der kommen und gehende Tinnitus machen mir seelisch zu schaffen. Die Krokodilstränen beim Essen nerven ein wenig.

Ich werde mich wegen der seelischen Sorgen auch an einen Therapeuten wenden und hoffe dass sich mein seelischer Zustand durch Verbesserung meines Vertrauens in meinen Körper auch verbessert.

In Hinsicht zur OP kann ich Euch die neurochirurgische Klinik im Klinikum Stuttgart empfehlen, sowie Prof. Dr. Hopf und das Team dort.

Mein Hypochonder in mir möchte an Euch dann doch noch Fragen loswerden um zu sehen, dass evtl. jemand von Euch unter ähnlichem leidet (litt):

habt Ihr auch im Kontroll-MRT noch "Kontrastmittelaufnahme" - obwohl gesagt wurde dass restlos entfernt wurde? Wenn Resttumor vorhanden ist (im Knochengang z.b.) kann dieser dann auf den Hörnerv / Facialisdrücken und wenn wieder wächst den Tinnitus verstärken - Restgehör / Gesichtskontrolle verschlechtern.

Sind bei Euch auch Krokodilstränen aufgetreten? Ist diese Art der "Nervenfehlheilung" bedenklich? Kann sich das verschlimmern?

Hattet ihr Postoperativ auch verstärkt psychologische Probleme mit dem Tinnitus / leichte Depressionen - Angst vor Erkrankungen bekommen?

Ich wünsche Euch viel Glück - sei es für die Heilung des Körpers als auch der Seele :)

Cynical
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Re: Ausführlicher Erfahrungsbericht - 1,5 Jahre nach OP

Beitrag von ANFux » 07.01.2012, 19:11

Lieber Cynical,

Du mußt wirklich nicht mit Deinem Verlauf hadern. Schnell eine richtige Diagnose, schnelle Therapieentscheidung, guten Operateur (durchschnittlich 30 AN-OP/a), gutes OP-Ergebnis - und das bei einem nich tunbedingt kleinem AN, das bereits den Gehörgang verlassen hatte.

Den Weggang des Tinnitus kann man nicht erwarten, weder mit einer OP noch mit einer Bestrahlung.
Der Umgang mit einer tauben Seite will gelernt sein. Es gibt dazu viele Bericht im Forum. Auch ich habe dazu etliches geschrieben. Tip: Suchfunktion nutzen, evtl. kombiniert mit Suchbegriff und Autorname.

Ähnlich solltest Du Dich auch über das Thema Narbengewebe im Forum informieren. Auch dazu kann ich auf eigene Beiträge verweisen. Der operierende Arzt weiß, was er gemacht hat, und wenn er ehrlich ist (man muß das hier so sagen), dann ist der Tumor raus, auch wenn es auf dem MRT so aussieht als ob. Bitte lesen, wie es bei mir im Kopf aussieht......

Das Thema hat jüngst im Forum auch wieder eine Rolle gespielt, als es darum ging, evtl. ein Hörgerät zu implantieren.
Halte Dich hier an den Operateur und zeige ihm die MRT-Aufnahme. Du brauchst hier Ruhe, sonst leidest Du mit Deiner Veranlagung in den nächsten Jahren, wenn sich immer wieder "eine KM aufnehmende Struktur" zeigt !!!

Beste Grüße
ANFux
1939, m. '94 transtemp. OP (15 mm) in Magdeburg/Prof. Freigang, einseitig taub, kein Tinnitus, keine Fazialispar. Rehakur in Bad Gögging. '96-'04 im Vorstand d. VAN in D, seitdem Beratungen zum AN. Ab '07 Moderator, ab '08 Homepage-Verantwortl.(bis 2012)
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