Meine Achterbahn: Späte Diagnose - Operation - OP-Folgen

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inge
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Meine Achterbahn: Späte Diagnose - Operation - OP-Folgen

Beitrag von inge » 04.08.2009, 19:36

Meine Achterbahn. Späte Diagnose - Operation - OP-Folgen.

Mehr als 10 Jahre bin ich bei verschiedenen Ohrenärzten gewesen weil ich immer das Gefühl hatte, mein linkes Ohr sei verstopft. Hören konnte ich fast gleich gut wie rechts, nur das Gefühl – so wie Wasser im Ohr nach dem Schwimmen. Tabletten, Tropfen, Salben... und dann die Frage, ob in der Partnerschaft und am Arbeitsplatz alles in Ordnung ist. Da habe ich vor 3 Jahren beschlossen zu versuchen, das Gefühl zu ignorieren.
Im Frühjahr 2008 bekam ich ziemliche Gleichgewichtsprobleme. Mein Hausarzt war besorgt und schickte mich zum nächsten Ohrenarzt. Dieser hat sehr gründliche Tests gemacht, nichts gefunden, und mir den Neurologen empfohlen. Dieser hat ebenso getestet, nichts gefunden, aber mich „damit wir alles Körperliche ausschließen, bevor wir uns Ihrer Seele zuwenden“ in die Röhre geschickt.
Und ab da, September 2008, hatte das Kind einen Namen.

Mein AN war 8x3,5x3,5 mm groß, rein intrameatal gelegen. Und ich war froh, dass endlich etwas gefunden war und wollte es raus haben. Bestrahlen habe ich wegen den unbekannten Spätfolgen nie wirklich erwogen. Und Tübingen liegt praktisch vor der Haustür. Eigentlich war das „wohin“ keine Frage.

In dieser Zeit habe ich dieses Forum gefunden und (als Internetneuling) auch wiedergefunden. Zu ANFux habe ich Kontakt aufgenommen und bin heute noch sehr dankbar für seine positive Unterstützung.

Im November 2008 wurde ich in der Neurochirurgie in TÜ operiert. Leider musste der Gleichgewichtsnerv durchtrennt werden (war eigentlich klar) und der Hörnerv war auch nicht zu retten. Am Tag nach der OP bekam ich eine Facialisparese. 5 Tage später tropfte Hirnwasser aus der Nase – eine lumbale Liquordrainage wurde gelegt, mein Auge verträgt verschiedene Tropfen nicht, reagiert allergisch, sieht nur noch hell und dunkel – Uhrglasverband Tag und Nacht (bis Mitte März 2009) mit viel Creme.

18 Tage war ich in TÜ und wurde in dieser Zeit von Schwestern und Ärzten und Logopädin und Krankengymnastin sehr gut ver- und umsorgt.

Nach 1 Woche zu Hause folgen 6 Wochen AHB in Gailingen, Schmieder-Klinik. Bald habe ich täglich Logopädie und Gleichgewichtstraining. Das „Rahmenprogramm“ setzt sich aus Fitnesstraining, Körperwahrnehmung, Massage, Bäder, Wassergymnastik, Werken und Seminaren usw. zusammen. In dieser Zeit konnte ich mich ein bisschen in mir sammeln.

Mitte Januar zuckt meine linke Augenbraue zum 1. Mal. Dann macht das Auge ganz leichte Bewegungen. Ende Februar zuckt der Mundwinkel. Beim Essen und Trinken gibt’s sog. Krokodilstränen, Metallgeschmack macht sich an der linken Zungenseite breit.

Wieder zu Hause mache ich 2x/Woche Krankengymnastik, Logopädie und Lymphdrainage weiter. Immer noch.

Bei der Kontrolluntersuchung nach 3 Monaten erkennt der Radiologe einen Resttumor, für TÜ ist es Narbengewebe. Es fällt mir immer schwerer, an das „Alles wird gut“ von allen Seiten zu glauben. Aber ich glaube ans Narbengewebe.

Dann bekomme ich Reizstrom verschrieben. Und das war zu viel! Hätte ich doch die Beiträge von ANFux besser gelesen oder mal gefragt! Das werfe ich mir heute noch vor. Denn in meinem Gesicht findet nach dem 3. Mal (hab dann abgebrochen) eine überschießende Reaktion statt. Beim Essen und Trinken wird das Auge zugeklemmt, der Mundwinkel wird zum Ohr gezogen und die beiden Muskelstränge am Hals seitlich vom Kinn treten zentimeterweit unter der Haut hervor. Die Physiotherapeutin empfiehlt mir eine Matrix-Therapie, aber das spüre ich sofort, dass es mir nicht gut tut.

Zurück nach TÜ – das sind Synkinesien (Nerven wachsen nach und docken falsch an) und es beruhigt sich in 4 Wochen. Nichts beruhigt sich, es wird immer schlimmer. Nachts wache ich auf, weil mein Gesicht zerrt. Tagsüber bin ich mehr mit Entspannung als mit sonst was beschäftigt. Im Liegen geht’s ganz gut, aber sobald Körperspannung da ist, spannt das Gesicht mit. Der ehemals lahme Mundwinkel liegt jetzt höher als der rechte. Als hätte ich dauernd was zum Grinsen.

Überweisung in die Neurologie in TÜ. Dort kennt man das Problem der Verkrampfung vom Spasmus hemifacialis. Und hat ein Mittel dagegen: Botox. Ich werde gründlich aufgeklärt, eigentlich kann nichts schlimmer werden. Nach 1 Stunde sage ich ja und bekomme 3 Spritzen ums Auge, 1 ins Kinn und 4 in den Hals. Am nächsten Morgen wache ich ganz entspannt auf. Das ändert sich aber wieder mit dem Aufstehen. Allerdings – nach ein paar Tagen habe wieder ich die Kontrolle übers Auge, auch beim Essen und der Hals sieht normal aus. Der Mund spannt noch. Im Oktober ist der nächste Termin, weil dann die Wirkung nachlässt.

Manchmal frage ich mich, ob ich das ganze Negativprogramm gebucht habe. Aber manches muss ich mir auch selbst zuschieben. Mit dem Gleichgewicht kämpfe ich immer noch, schnelle Drehungen sind unmöglich (bin ein paar Mal umgefallen), aber ich ziehe Hose und Socken inzwischen wieder im Stehen an. Und Gartenarbeit tut Wunder! Laute, plötzliche Geräusche erschrecken mich immer noch sehr, ich kann die Richtung nicht zuordnen. Mein Auge kratzt manchmal noch, aber die Hornhaut ist ok.

Ich möchte niemandem Angst machen. Aber nicht immer kann alles gut gehen – wer weiß warum?

Erst mal Grüße an die Forumsleser und besonders an ANFux, der mir immer Mut zugesprochen hat. Danke.
inge
inge: * 1951, w, AN-Diagnose 8 x 3,5 mm links im Sept. 2008, OP in der Neurochirurgie TÜ Nov. 2008, seither einseitig taub, Fazialisparese, inzwischen Synkinesien, Gleichgewichtsprobleme, Reha in der Schmieder-Klinik in Gailingen beim Bodensee
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Auch negative Erfahrungen sind wertvoll

Beitrag von an » 11.08.2009, 12:49

Auch negative Erfahrungen sind wertvoll

Liebe Inge,

dich hat es ja wirklich erwischt. Ich finde es aber sehr wichtig, dass solche Beiträge wie deiner hier auch "zu Wort kommen".

Ich habe zwar nur noch leichte Folgen einer Fazialisparese, aber mein Hören (nicht nur die einseitige fast-Taubheit, sondern oft nochmehr die Hyperakusis auf der gesunden Seite) und vor allem der Schwindel sowie Kopfschmerzen ermöglichen mir auch ca. 7 Monate nach der OP kein normales Leben.

Ich bin oft erstaunt wie viele durchweg positive Berichte ich hier im Forum lese. Manchmal habe ich den Verdacht, dass die Leute, denen es nicht so gut geht, sich scheuen, das auch einzustellen, weil man sie dann für Jammerer oder Pessimisten halten könnte. Ich finde es wie gesagt wichtig, dass auch die Beiträge zu lesen sind, die vielleicht auf den ersten Blick abschrecken. Für Betroffene, die ebenfalls länger unter den AN-/OP-Folgen leiden, können aber auch solche Beiträge Mut machen, weil sie vielleicht zeigen, dass auch andere eine harte Zeit hatten, aber es letztendlich mit viel Geduld (sowie hoffentlich bei dir!) doc bergauf geht.

Was mich bezüglich Schwindel interessieren würde: Ob die verstärkte Schwindelproblematik zusammenhängt mit dem Erhalt eines Astes des Vestibularis (bei mir wurde der Vest. inferior durchtrennt, der Vest. superior erhalten). Prof. Tatagiba schilderte, dass man z.B. in Frankreich grundsätzlich beide Äste durchtrennt, da man dort der Meinung ist, dass die Patienten davon profitieren. Ihm als Neurochirurg widerstrebe es aber, einen gesunden Nerv zu durchtrennen. Kann ich auch verstehen. Wenn der Schwindel nicht besser wird - nach längerem Abwarten - gäbe es auch noch die Möglichkeit, den nicht durchtrennten Ast mittels Injektion durch eine HNO "lahmlegen zu lassen.

Vielleicht lassen sich ja über dieses Forum auch mit der Zeit Erkenntnisse in diesen Fragen gewinnen (Beide Äste kappen, oder nicht? Injektion ja oder nein ?) wenn hierzu noch jemand etwas beitragen kann, fände ich das interessant.

Dir liebe Inge wünsche ich weiter Besserung bei deiner Fazialisparese und dem Schwindel. Verliere nicht Zuversicht und Geduld, auch wenn´s manchmal schwerfällt! Und wenn die Kur gutgetan hat (das meinte ich zwischen den Zeilen zu lesen) wäre vielleicht auch eine Wiederholung noch eine Idee. Ich bekam von Tübingen die entsprechende Empfehlung, mache zur Zeit aber lieber ambulante Therapien.

Drücke dir fest die Daumen, dass es jetzt aufwärts geht
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Hyperakusis nervt

Beitrag von inge » 08.11.2009, 20:24

Hyperakusis nervt

liebe an,

jetzt erst mal danke für Deine Antwort (August). Irgendwie hat's mich schon erwischt, aber anderen geht's vielleicht noch viel schlimmer? Was macht Dein Kopfweh?

Ich habe eine Frage zu Deiner Hyperakusis: Ist es das, dass man "laut" nicht mehr ertragen kann? Plötzliche Geräusche - z.B. Hupen im Straßenverkehr lassen mich zusammenfahren, sprechen mehr als 2 Leute auf einmal - da verstehe ich gar nichts mehr, Besuche im Kneiple mit Hintergrundgeräuschen - Unterhaltung aussichtslos, meine Katze schreit im Garten - ich kann die Richtung nicht zuordnen. Und das Schlimmste: Mein 5jähriger Enkel hat eine sehr helle und laute (weil selber schwerhörig) Stimme wenn er spricht, und das tut mir echt körperlich weh im Ohr, vielleicht ist es ja auch die Frequenz. Er erzählt mir so viel und ich denke eigentlich nur "Bitte aufhören". Das macht mich so traurig.

Kämpfen wir weiter!!!
Liebe Grüße von
inge
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Lernen, mit Einschränkungen zu leben

Beitrag von Lilo » 09.11.2009, 19:05

Lernen, mit Einschränkungen zu leben

Liebe Inge, liebe An

erst jetzt habe ich Eure interessanten Beiträge gelesen. Ich finde es äusserst wichtig, dass auch negative Erfahrungen hier ihren Platz haben.
Ich möchte zuerst mein Bedauern darüber aussprechen, dass ihr beide unter sehr unangenehmen Folgen der OP leidet.

Bei mir ist die OP schon einige Jahre her-ich kann nur wiederholen, dass ich angesichts der Tumorgrösse sehr grosses Glück bzw. einen hervorragenden Operateur hatte. Natürlich waren sowohl Gleichgewichts- wie auch Hörnerv nicht mehr zu retten und am 2. postoperativen Tag trat dann eine Facialisparese auf. Es folgten knapp zwei Wochen Reha-nach unglaublichen Kämpfen mit der Krankenkasse. Nach und nach erholte ich mich-gehen war extrem schwierig und auch ich hatte mit einem Hyperakusis zu kämpfen.

Mit viel Aufwand und der Unterstützung meiner Familie konnte ich dennoch meine Pläne eines Studiums verwirklichen. Allerdings dauert es viel länger als bei meinen Mitstudenten und ohne die Unterstützung meiner Mutter-bei der ich wohnen kann-könnte ich das Studium weder finanziell noch kräftemässig bewältigen.

Wie dem auch sei, ich bin froh, dass ich dennoch ein ziemlich normales Leben leben kann.-Aber es bedeutet immer Mass finden zwischen fordern aber nicht überfordern. Ich möchte damit nur sagen: es wird alles besser, aber man muss mit gewissen Einschränkungen umgehen lernen-das ist die Realität. Auch nach 9 Jahren gehört die Physiotherapie zum Wochenprogramm und immer wieder habe ich Schwindel, Kopfschmerzen, Müdigkeit und z.T. Panikattacken (z.T. Spätfolgen, die aus der Jahrelangen Fehlhaltung-man weicht ja mit der Kopfhaltung dem Tumor aus-resultieren).

Fazit: Nicht allen geht es nach einer AN-Op besser als vorher (rein physisch gesehen)-aber jeder ist wohl glücklich die Op überstanden zu haben und mit den Einschränkungen lernt man umzugehen.

Liebe Inge, deine Botoxerfahrung finde ich sehr interessant! Toll, dass Dir das offenbar hilft. Ich hab mir vor ca. einem 3/4 Jahr Botox spritzen lassen (im Winter ziehen die Muskeln im Backenbereich stark an). Leider wurde die Parese nur noch schlimmer-nun gut, es geht ja zum Glück nach 3 Monaten wieder weg.

Nun wünsche ich Euch beiden eine gute Zeit und sende herzliche Grüsse, Liza = Lilo
1979, w, Subtotalentfernung eines AN (4,2x3,8x3,7 cm, links mit erheblicher Verlagerung und Deformation des Hirnstammes) im Juni 2000, Neurochirurgie Kantonsspital St. Gallen, Rest-Fazialisparese, links taub, Tinnitus, diskrete Fussheberparese links.
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Allmähliche Besserungen, nur Hyperakusis bleibt

Beitrag von an » 09.11.2009, 22:03

Allmähliche Besserungen, nur Hyperakusis bleibt

Liebe Inge, liebe Lilo,

danke für eure Zeilen.
Zuerst möchte ich berichten, dass ich das Gefühl habe, dass sich mein Zustand weiter stabilisiert bzw. verbessert. Sage das zwar noch vorsichtig, weil die Tagesform schwankt (im wahrsten Sinne des wortes :) ), aber dennoch... das gibt Auftrieb! Ich merke auf jeden Fall, dass ich belastbarer bin, also noch im Sommer!

Mein Kopfweh ist leider immer noch ein Problem, aber ich bleibe dran, versuche gerade verschiedene Prophylaxemittel und bin in Betreueng durch eine Schmerzambulanz.

Zu der Hyperakusis: Das ist eine Überempfindlichkeit auf dem gesunden Ohr, bei mir insbesondere bei hohen Tönen. Geht dann beim Fernsehen abwechselnd "Mach mal lauter ich verstehe nichts!" und " Mach mal leiser, das nervt." Kneipenbesuche o.ä. sind sehr anstrengend. Geschirspülmaschine ausräumen, staubsaugen und manchmal auch Duschen mit Ohrstöpsel. Die von dir beschriebenen symptome fallen also schon in diese Kategorie, hängen z.T aber auch mit der Taubheit auf einem Ohr zusammen (Richtungshören nicht möglich, "Stimmensalat" ...). Das nervt alles schon ziemlich, ich weiß. Und das mit der Kinderstimme verstehe ich auch, das ist natürlich echt blöd!

Ich behelfe mir manchmal mit einem Ohrstöpsel, den ich nur so ein bißchen ins Ohr stecke, so dass ich den Eindruck habe, dass alles etwas gedämpft ankommt. Wenn die Stimme deines Enkels so laut ist, wäre es vielleicht einmal einen versuch wert...

Ich für mich denke, dass ich mich mit einem Teil der verbliebenen Beschwerden einfach arrangieren muss (laute Veranstaltungen sind halt einfach nicht mehr auf dem Programm) zum Teil hoffe ich aber auch noch auf eine Beruhigung der Lage im Laufe der Zeit.

Liebe Inge, was macht den dein Schwindel? Hoffentlich auch nochmal etwas besser geworden, wie bei mir!!!!
Lilo und dir wünsche ich weiter alles Liebe und weiter viel Energie.
an
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Ständig gegen den Schwindel üben

Beitrag von inge » 10.11.2009, 19:59

Ständig gegen den Schwindel üben

Liebe an,

vielen Dank für den Tip mit dem Ohrstöpsel "nur halb im Ohr"! ein bisschen Hören muss ja noch sein!

Mein Schwindel ist nicht viel besser geworden aber ich lerne ständig, besser damit umzugehen. Da ich das ganze Frühjahr und den Sommer zu Hause war, habe ich viel im Garten, der so leicht am Hang liegt, gemacht. Und das waren die besten Übungen! Unebenes Gelände - verschiedene Untergründe - Bücken und Aufstehen - Blick nach oben beim Apfelernten - eigentlich alles das, was ANFuX so empfohlen hat.

Ich weiß, wann's gefährlich wird. Im Büro aufstehen mit dem Schwung vom Drehstuhl ist verheerend. Also - drehen, Füße in Position, Blick fixieren, aufstehen. So funktioniert's. Lange Gänge und Straßen mit beidseitig hohen Häusern bringen mich zum Schwanken, dann schau ich halt den Boden an.

Du hast so recht, man muss sich mit dem was geblieben ist arrangieren. Und das Beste draus machen.
Dir alles Gute von
inge
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Mit Hyperakusis leben

Beitrag von ANFux » 14.11.2009, 13:02

Mit Hyperakusis leben

Liebe inge, liebe an, liebe Lilo, liebe Leser,

in den vorangegangenen Beiträgen sind die Folgen einer Hyperakusis sehr treffend beschrieben.
Hyperakusis - eine Ueberempfindlichkeit auf dem gesunden Ohr - tritt nach einer Akustikusneurinom-Opration bei einigen Patienten kurzzeitig, bei einigen leider langandauernd auf.
Da hilft nur eines: Lernen, mit dieser Belästigung (oder auch schon Belastung) zu leben.

Wenn man sich in sein Schneckenhaus zurückzieht und alle Gelegenheiten und Oertlichkeiten meidet, wo störende, nervende Geräusche auftreten, isoliert man sich, vereinsamt, nimmt nicht mehr am familiären, kulturellen und gesellschaftlichen Leben teil. Unweigerliche Folge wären seelische Störungen, wodurch man gegen anderweitige Belastungen noch störanfälliger werden würde.

Vor zwei Tagen hatte ich ein Erlebnis. Ich bin noch zur Rehakur (OP war am 19.10.). In jedem Durchgang findet ein Hausfest statt, mit Musik (Disko). Mir schwante nichts Gutes. Meine Befürchtungen traten ein: Ich sass wenige Schritte neben einem Lautsprecher. Gesundes Ohr zum Lautsprecher. Klar. Ich hatte schon Betreten des Saales Gänsehaut, mein gesamter Körper war auf Abwehr, ich erwartetet die Hölle.

Dann ging es los. Aufforderung zum Klatschen im Takt. Ich hasse das schon im Frnsehen. Jetzt sollte ich mitmachen. Den Lärm noch verstärken.
Ohne mich! Ich gehe...
Dann sah ich, wie die Patienten im Rolstuhl klatschten, wie sie mitsangen, ich sah ihre Mienen, und ich spürte, dass sie in diesem Moment keine Schmerzen mehr spürten. Amputiertes Bein, künstliches Schulter-, Hüft- oder Kniegelenk, versteifte Wirbelsäule - alles für eine Weile ausgeblendet.
Ich hörte nur noch Musik, Stimmungsmusik, laut, sehr laut, aber nicht mehr störend.
Ich klatschte und sang mit, so weit ich die Texte kannte. Das ging so 2,5 Stunden lang. Und ich hatte hinterher nicht einmal Ohrenklingeln.

Mir war (wieder einmal) klar geworden, dass unsere Einstellung zu Geräuschen ganz stark mit entscheidet, wie wir die Geräusche empfinden - störend, aufreizend, nervend oder ablenkend, belustigend, befreiend.

Testen wir uns doch einmal:
Klingt der Zug, auf den wir vor der verschlossenen Schranke - in Eile - warten müssen, nicht völlig anders als der Zug, der sich wie ein bunter Wurm durch die Landschaft windet, wenn wir auf einer Terasse bei einer Tasse Kaffee sitzen?

Wie empfinden wir das zänkische Geschrei zweier Kinder in der Strassenbahn, in das die anwesende Mutter nicht eingreift ? Und was fühlen wir bei dem höllischen Gejohle vieler Kinder, wenn wir die nicht mehr benötigten Spielsachen userer Kinder in einem Kindergarten abgeben (haben meine Frau und ich vor kurzem getan) ?

Nach der AN-Operation störte mich sehr, sehr Vieles. Ich habe aber erkannt, wie wichtig die Einstellung zu einem Geräusch ist. Und auch, dass man eine Art Umpolung machen kann. Das in die Badewanne rauschende Wasser nervte furchtbar. Als ich am Krimmler Wasserfall in Oesterreich stand, war es viel, viel lauter. Aber ich war nicht genervt, sondern fasziniert. Ich hatte keine innere Abneigung, keine Abwehrhaltung, und konnte so den wahren Lärm ertragen, fast schon geniesen.

Ueber den Besuch von Konzerten habe ich ja schon einmal geschrieben. Dort geschieht das auch. Man erwartet die Musik, freut sich darauf. Man fürchtet sich nicht vor dem Einsetzen der ersten lauten Takte. Und so kann man hören und irgendwann auch wieder richtig geniessen. Denn dieses Training dauert eine Weile. Der Effekt stellt sich aber eben nur ein, wenn man dem Körper hin und wieder derartige Situationen anbietet.
Eine kleine Hilfe leiste ich mir auch noch heute, fünfzehn Jahre nach der AN-OP. Ich stecke manchmal etwas Watte in beide Ohren (beide!).

Es gibt einen klugen Satz von Franz von Assissi:
"Tu erst das Notwendige, dann das Mögliche und plötzlich schaffst Du das Unmögliche."

Morgen ist die Kur zu Ende. Nach vier Wochen dann wieder ein Wannenbad zu Hause - unter "meinen Krimmler Wasserfall".

Beste Grüsse
ANFux
1939, m. '94 transtemp. OP (15 mm) in Magdeburg/Prof. Freigang, einseitig taub, kein Tinnitus, keine Fazialispar. Rehakur in Bad Gögging. '96-'04 im Vorstand d. VAN in D, seitdem Beratungen zum AN. Ab '07 Moderator, ab '08 Homepage-Verantwortl.(bis 2012)
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Re: Meine Achterbahn: Späte Diagnose - Operation - OP-Folgen

Beitrag von heide » 23.02.2010, 13:31

Meine Erfahrungen mit der Hyperakusis

liebe Inge, liebe an, liebe Lilo und lieber ANFux,

ich möchte hier nun auch noch meine Erfahrungen bezüglich des Hyperakusis beisteuern. Bei mir besteht ja schon seit Jahren eine progrediente Hörminderung auf meiner AN-Seite.

Bis zu der Diagnosestellung dachte ich immer, ich bin halt nicht mehr die Jüngste und kann Kinderlärm (diese hohen, lauten Frequenzen) nicht mehr so gut ertragen. Bei lauten Umgebungsgeräuschen muß ich mich stark konzentrieren, um einem Gespräch noch folgen zu können. Was mich aber sehr verwundert hat, ist die Tatsache, dass, wenn mein Mann mir etwas lauter in mein eingeschränktes Ohr spricht, ich sehr empfindlich bin, nur meinem gesundem Ohr macht das gar nichts aus.

Also, ich habe eine Hyperakusis auf der erkrankten Seite. Nun mache ich ja auch noch Musik, ich spiele ausgerechnet Schlagzeug. Und wenn es dann sehr laut wird, Gesang, Bass, Gitarre etc., macht mir das gar nichts aus. Wenn ich für mich alleine übe, habe ich allerdings Kopfhöhrer auf, weil ich dann sehr empfindlich auf die Becken und die Snare-Trommel reagiere.

Ich kann also nur bestätigen was ANFux zu der Einstellung gegenüber Lärm geschrieben hat. Empfehlen kann ich auch Ohrstöpsel, allerdings spezielle, die ich mir in einem Musikgeschäft gekauft habe. Sie filtern die Frequenzen heraus, die schädlich für die Ohren sind. Ich finde sie klasse, weil man sich trotzdem noch verständigen kann. Sie haben mal so um die 25,- Euro gekostet. Wer das interessant findet kann ja mal bei http://www.alpine-gehoerschutz.de/ nachschauen.

Ich hoffe euch geht es allen den Umständen entsprechend gut und ihr freut euch auch schon auf den Frühling. Bei mir im Garten schauen jetzt die ersten Schneeglöcken aus dem Boden.

liebe Grüße heide

edit: url korrigiert
w, Bj. 62, AN re, extrameatal, ca.2 cm, prae OP starke hörminderung re, OP in tü am 08.04.2010, post OP Facialisparese
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Re: Meine Achterbahn: Späte Diagnose - Operation - OP-Folgen

Beitrag von inge » 27.02.2010, 19:51

Die Achterbahn geht weiter: Evtl. Resttumor

Das ist die Fortsetzung

Vor einem Jahr, 3 Monate nach der Operation, hat mir der Radiologe bei der MRT einen Resttumor bescheinigt und mir damit "den Boden unter den Füßen fortgezogen". So habe ich mich damals gefühlt. Weil damals mein Halt war: Einseitig taub, Gleichgewichtsprobleme, Facialisparese - ok, aber - DER TUMOR IST DRAUSSEN!

Und dann jetzt vor 2 Wochen die jährliche Kontrolle - da sieht er, der gleiche Radiologe, plötzlich "Narbengewebe". Soll ja recht sein. Mal sehen, was Tübingen meint...

Eine Bekannte von mir mit dem selben Problem lehnt es inzwischen ab, auch nur ein Wort mit ihrem Radiologen zu sprechen, schnappt nur ihre CD mit dem Befund und ist weg.

Seitdem ich die Erfahrungen von ANFux gefunden und gelesen habe, bin ich ruhiger.

Dank an ANFux und an den, der dieses Forum ermöglicht hat.

inge
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